19. bis 21. Juni in Leipzig
Alle Fotos: © Martin Klindtworth / Zentralfotograf.de
Nur kurz hielt die gespannte Ruhe in der Leipziger Villa Ida, dann wurde es laut im Saal. Die Aufgabe: Die Teilnehmer:innen sollten sich in 3 ½ Minuten die schönsten Erlebnisse aus den letzten 3 ½ Jahren erzählen. Genau diese dreieinhalb Jahre sind seit der letzten Jahrestagung in Trier im November 2019 vergangen. Schnell wurde deutlich: Es gibt viel zu erzählen und der Wunsch nach Austausch ist groß. Ein Eindruck, der sich durch die gesamten drei Tage der 24. Jahrestagung der Freiwilligenagenturen vom 19. bis 21. Juni in Leipzig zog.
Denn in der Zwischenzeit ist viel passiert. Mit der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stand und steht auch die Zivilgesellschaft mehreren Krisen gegenüber. Davon sind auch die Freiwilligenagenturen als Förderinnen und Lotsinnen des Engagements betroffen. So wurden Corona-Nachbarschaftshilfen ins Leben gerufen, digitale Formate entwickelt, Strukturen für geflüchtete Menschen aus der Ukraine geschaffen und viel über Freiwilligenagenturen im gesellschaftlichen Wandel nachgedacht. Höchste Zeit für eine Standortbestimmung.
Aus diesem Grund trug die Tagung in Leipzig den Titel „Von Ausgangspunkten und Zielen: Brauchen wir ein neues GPS für Freiwilligenagenturen?“. In den anschließenden drei Tagen wurde also viel über die Rolle von Freiwilligenagenturen diskutiert, in Workshops voneinander gelernt, Impulse für die kommende Engagementstrategie der Bundesregierung gesammelt oder sich in Pausen über den Agenturalltag ausgetauscht. Aber auch das Kennenlernen in einem großen und wertschätzenden Netzwerk stand im Mittelpunkt, denn für viele Kolleg:innen war es die erste Jahrestagung – wie eine Blitzumfrage zum Tagungsstart ergab.
Standorte bestimmen, einen Blick in die Zukunft wagen und die „Energiemaschine Jahrestagung“ (Zitat Tobias Kemnitzer) für die eigene Arbeit in den Agenturen nutzen – diese Ziele der Tagung in Leipzig wurden spürbar erreicht, wie auch diese Dokumentation veranschaulicht. Vielen Dank an dieser Stelle auch an die Freiwilligenagentur Leipzig e.V. für die tolle Zusammenarbeit.
Die Jahrestagung in Zahlen
Ein kurzer Blick auf die Zahlen der Jahrestagung: 160 Teilnehmende besuchten 18 Workshops, nahmen an 3 Stadtrundgängen teil, hörten sich 2 Vorträge an, arbeiteten in 2 Kleingruppenphasen, waren Teil einer Preisverleihung, begleiteten 4 Übergaben des Bagfa-Qualitätssiegels und lauschten 2 Gesprächsrunden auf dem Podium. Das Programm scheint gefallen zu haben: Auf einer Skala von 1 (nicht gut) bis 6 (sehr gut) vergaben die Teilnehmenden der Tagung 5,4 Punkte auf die Frage, wie ihnen die Tagung gefallen hat.
Stimmen aus der Evaluation
„Es war toll, das erste Mal mit dabei gewesen zu sein, die Inputs und Impulse, der bundesweite Austausch an einem Ort und der grandiose Kulturabend! Vielen Dank für die Organisation und Umsetzung!“
„War eine richtig schöne und runde Veranstaltung, super, um mit dem Aufbau eines Netzwerkes zu beginnen, organisatorisch, inhaltlich und menschlich wirklich toll! Ganz herzlichen Dank für eure Mühe und hoffentlich bis zum nächsten Mal :-)”
Sonnenschein zum Tagungsstart: Standortbestimmung(en) aus Leipzig, Sachsen, Deutschland und der Welt
Aber beginnen wir mit dem Anfang der Tagung: Bei sommerlichen Temperaturen und Sonnenschein kamen 160 Kolleg:innen aus ganz Deutschland in der Villa Ida, im Leipziger Stadtteil Gohlis, zusammen. „Endlich wieder Jahrestagung, endlich wieder Bühne“, sagte bagfa-Geschäftsführer Tobias Kemnitzer zum Start und begrüßte gemeinsam mit Tagungsmoderatorin Eva-Maria Antz nacheinander fünf Gäste zum Einstiegsgespräch.
Zum Auftakt begrüßte die Vorstandsvorsitzende der bagfa, Birgit Bursee, die Kolleg:innen. Sichtlich erfreut über den vollen Saal stellte sie den Fortbildungscharakter der Tagung heraus. Die 160 Teilnehmenden verfügten über geballtes Wissen, von dem gegenseitig viel gelernt werden könne. Zitat: „Mehr Engagement geht nicht“.
„Leipzig ist eine junge und lebendige Stadt“, so Marlene Opel aus dem Leitungsteam der Leipziger Freiwilligenagentur. Dies zeige sich etwa in der Vereinsberatung, welche die Agentur anbietet. Mit Blick auf die Umweltbewegung als Wegbereiter der friedlichen Revolution verdeutlichte sie außerdem die Tradition von Engagement in Leipzig. Nach wie vor sei Engagement nötig, insbesondere auch im Themenbereich Anti-Rassismus. Auch sie unterstrich zur Begrüßung das Ziel der Tagung. Für sie stehen die Fragen im Mittelpunkt, wo die Freiwilligenagenturen stehen aber in welche Richtung sie sich vielleicht auch abgrenzen müssen. Immer wieder ploppen neue Themen auf, die von etablierten Akteuren nicht besetzt werden, aber viel Engagementpotenzial bergen.
Friedemann Beyer vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gab im kurzen Gespräch einen Einblick in Strukturen der sächsischen Zivilgesellschaft. Zwar sei die Engagementquote im Freistaat relativ gering und es gebe verhältnismäßig wenig Freiwilligenagenturen – jedoch sind laut einer Studie der Stiftung Bürger für Bürger und der DSEE, in Sachsen gute Strukturen zu finden. Vor allem gebe es eine Vielzahl von kleineren Vereinen, die viel Engagement auszeichnet. Als Servicestelle für Beratung und Qualifizierung der Zivilgesellschaft fungiere außerdem die neu gegründete Engagementstiftung Sachsen.
Neu bei dieser Jahrestagung: Ein Tagungsbeobachter schnitt das Geschehen der drei Tage mit und gab seine Einschätzung zur gemeinsamen Arbeit und Diskussion zum Besten. „Große Klappe, große Ohren“, so beschrieb Henning Baden von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) seine Rolle als Tagungsbeobachter. Zum Start der Tagung brachte er seine Perspektive aus Sicht der Stiftung ein: Ganz viel Engagement in Deutschland sei ihm noch nicht bekannt gewesen. Besonders kleine Strukturen sind laut Henning Baden nicht in Freiwilligenagenturen berücksichtigt. Daher stehe die Frage im Raum: Wie können wir mit diesen kleinen Strukturen kooperieren?
Zum Abschluss der Gesprächsrunde gab Wolfgang Krell (bagfa-Vorstand, Freiwilligen-Zentrum Augsburg) einen Einblick in die internationalen Diskussionen von Engagement. Als Vertreter von IAVE (International Association for Volunteer Effort) stellte er einige wichtige Punkte heraus: Vor allem die Nachhaltigkeitsziele der UN (SDGs) seien in der internationalen Diskussion Thema, genauso wie Debatten über De-Kolonialisierung und das globale Nord-Süd Verhältnis. Das informelle Engagement wachse weltweit, so Wolfgang Krell, aber man merke: „Nur die aktiven Bürger:innen bringen etwas voran“.
Standortbestimmung(en) persönlich: Community Organizing mit Andreas Richter
Die Welt wie sie ist, zu einer Welt machen, wie sie sein sollte. Das klingt nach einer herausfordernden Aufgabe – ist aber möglich, wenn man gemeinsam handelt. Wie man dieses gemeinsame Handeln schafft und die nötigen Beziehungen dafür aufbaut, verdeutlichte Andreas Richter vom Deutschen Institut für Community Organizing (DICO) in einem Workshop. Der Ansatz des Community Organizing (CO) zeigt auf, wie Zivilgesellschaft gestärkt werden kann. Dabei führt der Aufbau von Beziehungen zu gemeinsamer Macht, welche zur Gestaltung genutzt wird.
Als Methode stellte Andreas Richter das „Interessen erkundende Einzelgespräch” vor. Durch Zuhören und Nachfragen werden Ziele, Visionen, Interessen, Werte und Kontakte ausgetauscht. Wichtig ist dabei, im Sinne einer „kontrollierten Verletzlichkeit“ auch etwas von sich preiszugeben. Ohne dabei zu privat zu werden, wie Andreas Richter betont. Etabliere man solche Gespräche in den Arbeitsalltag und nutze entsprechende Gelegenheiten, lasse sich langfristig ein stabiles Netzwerk aus öffentlich-persönlichen Beziehungen aufbauen.
Andreas Richter unterstrich die Wichtigkeit dieser systematischen Beziehungsarbeit. Wenn diese nicht gemacht werde, sei das der „Tod der Zivilgesellschaft“. In diesem Sinne hoffen wir von der bagfa, dass die Jahrestagung und der Workshop gute Anstöße für den Aufbau von Beziehungen gegeben haben.
Die Präsentation von Andreas Richter ist hier zu finden.
Standortbestimmung(en) Engagement: Im Gespräch mit Nina Leseberg, Dr. Holger Backhaus-Maul, Dr. Siri Hummel und Dr. Christoph Steegmanns
Blickt man auf die letzten Jahre, erkennt man im Bereich des Bürgerschaftlichen Engagements einige Meilensteine: Im kommenden Jahr wird die bagfa als Dach- und Fachverband 25 Jahre alt, die Enquete-Kommission des Bundestages ist über 20 Jahre her und das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) feierte erst kürzlich zehnjähriges Jubiläum. Nicht zuletzt zeigt dieser Rückblick, dass der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements erfolgreich in Politik, Verwaltung und Gesellschaft verankert wurde.
Auf dieser Grundlage versuchte das Moderationsduo aus Eva-Maria Antz und Tobias Kemnitzer gemeinsam mit vier Gesprächspartner:innen bei einem Podiumsgespräch eine Bestandsaufnahme der Freiwilligenangenturen und des Engagements – das Gespräch hielt auch einige Botschaften an die Agenturen selbst bereit.
Das Engagement ist verknüpft mit der gesellschaftlichen Transformation – das wurde aus den Aussagen von Dr. Siri Hummel, Direktorin des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft, mehr als deutlich. Es steht damit auch vor verschiedenen Herausforderungen. Als Beispiel nannte Hummel das Engagement junger Menschen: Diese übernähmen weniger Posten, etwa in Vereinen, als früher. Das liege auch an einer komplexen Professionalisierung der Zivilgesellschaft.
Die Aufgabenbereiche von Engagierten seien sehr unterschiedlich und gehen von Administration bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit. Mit Blick auf diesen Generationenwechsel rief Siri Hummel zum Umdenken auf: „Wenn jemand geht, dann will er die gleiche Person in jünger“. Hier müsse man mehr auf die Interessen, Wünsche und Motivationen von jungen Menschen eingehen. Denn insgesamt herrsche ein Wettbewerb um die Zeit der Menschen, was auch das Engagement vor Herausforderungen stellt.
Erst kürzlich erschien die Studie „Da ist Diverses möglich“, über Diversität und Inklusivität in der Zivilgesellschaft. Als Autorin brachte Hummel den Teilnehmenden das sogenannte „SETT-Modell“ näher. Die Bereiche Sensibilisierung, Empowerment, Teilhabe und Transparenz könnten in zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Wandel hin zu Diversität ermöglichen. Dabei machte Hummel Mut: Die Zivilgesellschaft solle eine Avantgardeposition im Wandlungsprozess einnehmen. Denn diese Organisationen wissen, wie und in welcher Form sie die Gesellschaft besser machen.
Vermutlich kennt niemand die Freiwilligenagenturen in ihrer Struktur so gut wie er: Dr. Holger Backhaus-Maul vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erforschte in bisher drei Befragungswellen die Freiwilligenagenturen in Deutschland. Nach einer Gründungseuphorie befänden sich die Agenturen derzeit in einer Phase der Konsolidierung. Dabei gebe es einen Trend zur kommunalen Trägerschaft, welcher auf der Jahrestagung bisher wenig erkennbar wäre.
Diese Agenturen handeln durch ihre Struktur in der kommunalen Verwaltung anders. Für Backhaus-Maul steht fest: Freiwilligenagenturen leisten einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Durch Engagement werde Zusammenhalt stimuliert und positive Elemente der Gesellschaft herausgestellt.
Zu diesem Zusammenhalt gehöre für ihn auch Streit. Und hier müssten sich die Freiwilligenagenturen meist klarer positionieren, etwa gegen Rechtspopulismus. Die Agenturen sollten sich auch politisch einmischen und so ein Teil der gesellschaftlichen Deliberation sein. „Seien Sie nicht so brav!“, legte Holger Backhaus-Maul den Teilnehmenden nahe.
Eine deutliche Nachricht hielt Dr. Christoph Steegmanns, Leiter der Unterabteilung Engagmentpolitik im BMFSFJ, für die Kolleg:innen der Jahrestagung bereit: „Ihr bleibt noch unter euren Möglichkeiten“. Besonders in der öffentlichen Wahrnehmung könnten die Freiwilligenagenturen deutlicher auftreten und die positiven Geschichten des Engagements herausstellen. Auch in Bezug auf Ressourcen- und Verteilungsfragen sei dies entscheidend, denn die Zivilgesellschaft müsse gemeinsam stark auftreten und dürfe sich nicht gegenseitig ausspielen.
Laut Steegmanns verstünde die Politik noch nicht, dass Freiwillige sich nicht einfach je nach Notstand und Bedarf verteilen lassen. Vielmehr gehe es meist um die Freude, die begeistert. Bürgerschaftliches Engagement zeichnet aus, dass es „schwieriger ist nicht mitzumachen, als mitzumachen“, so Steegmanns. Abschließend riet er den Freiwilligenagenturen den Bereich Unternehmensengagement (Corporate Social Responsibility) stärker als Aufgabenbereich einer Freiwilligenagenturen wahrzunehmen. Auch Spenden können eine Form von Engagement sein.
Über „Sternstunden der Zivilgesellschaft“ sprach Nina Leseberg von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) und meint damit die Solidarität in der Corona-Pandemie, die Aufnahme von geflüchteten Menschen oder Naturkatastrophen, in denen Freiwillige wichtige Hilfe und Unterstützung geboten haben.
Diese Situationen zeigten die wichtige Gestaltungskraft von Engagement. Außerdem zog sie ein Resümee über die neu geschaffene Stiftung. Diese fördert in die Breite und stärkt Strukturen, überall wo sich engagiert wird. Dadurch gehören engagementfördernde Infrastruktureinrichtungen genauso zur Zielgruppe der DSEE, wie Angebote für Freiwillige selbst.
Die derzeit erarbeitete Engagementstrategie wird einen Fokus auf Strukturen setzen, so Nina Leseberg, da sich vor allem die organisierte Zivilgesellschaft umfangreich beteiligt. Sie plädiert für eine resiliente Zivilgesellschaft, welche die Dinge langfristig angeht. Denn auf nachhaltige Strukturen könne man im Notfall, wie etwa bei der Corona-Pandemie, schnell zurückgreifen.
Verleihung des „Wünsch Dir was“-Preises der Dr. Jürgen Rembold Stiftung 2023
Eine Jahrestagung in Präsenz bot die Möglichkeit wieder eine Preisverleihung vor großem Publikum durchzuführen. Am Montagabend des ersten Tagungstages durfte die bagfa gemeinsam mit der Dr. Jürgen Rembold Stiftung den „Wünsch Dir was“-Preis 2023 verleihen. Der Engagementförderpreis zeichnet Projektideen von Freiwilligenagenturen aus und ermöglicht mit dem Preisgeld deren Umsetzung. Nachdem in den letzten Jahren das Engagement häufig als Reaktion auf einen gesellschaftlichen Notstand war, wie die Corona-Pandemie oder die Ukraine-Hilfe, lag der Fokus des diesjährigen Preises auf Projektideen, die niedrigschwellig sind und Lust auf ein Engagement machen – unter dem Motto „Einfach zu machen“.
Ausgezeichnet wurde etwa die Idee eines mobilen Engagement-Postamts in Halle an der Saale, Filme über musikalische Herzensbotschaften in Landshut oder niedrigschwellige Engagementcafés in Nürnberg.
Alle Preisträger:innen werden hier vorgestellt.
Standortbestimmung(en): Unsere Impulse zur Engagementstrategie
Mit welchen Profilen und Bildern haben sich die Freiwilligenagenturen in den letzten Jahren gezeigt? Ist diese Selbstdarstellung noch aktuell? Zeigt sie korrekt auf, was die Agenturen im Engagement bewegt? Wie können große gesellschaftliche Zukunftsfragen mit dem Auftrag der Freiwilligenagenturen verbunden werden? Auch mit Blick auf die Engagementstrategie des Bundes sind diese Fragen von großer Bedeutung. Denn mit einer klaren Standortbestimmung können wichtige Impulse für die Erstellung der Engagementstrategie formuliert werden.
Während des zweiten Tagungstages wurden daher Profile als Standortbestimmung und Zukunftsthemen in zwei Kleingruppenarbeiten diskutiert und bearbeitet. Die Ergebnisse dieser gemeinsamen Arbeit werden als Impuls für die Engagementstrategie an die DSEE weitergegeben.
Doch zuerst zeigte Lena Blum, bagfa-Vorstand und Leitung der Bremer Freiwilligenagentur, wie ein Strategieprozess „im Kleinen” aussehen kann. Zum Auftakt des zweiten Tagungstages gab sie Einblicke in die Erstellung der Engagementstrategie für das Land Bremen. Ein Prozess, der im Jahr 2022 startete und eine Vielzahl von Formaten enthält, etwa Marktplatzgespräche oder eine Onlineumfrage. Ein Zwischenstand der Strategie mit „10 Bedingungen für gutes Engagement“ ist hier zu finden.
Mit der Frage „Mit welchen Profilen und Bildern haben wir uns in den letzten Jahren gezeigt?“ starteten die Teilnehmenden die erste Phase der Gruppenarbeiten. Dabei sollten Thesen eines Kartensets beurteilt und jeweils mit Kommentaren versehen werden. Ergebnis ist ein umfassender Einblick in das Selbstverständnis der Freiwilligenagenturen.
Die Teilnehmenden beurteilten die These der jeweiligen Karte und ordneten sie auf einer Skala von 1 bis 10 ein. Je weiter rechts der rote Balken, desto größer die Zustimmung zu der These. Außerdem wurden kurze Einschätzungen zu den Thesen abgegeben, die ausschnitthaft gezeigt werden.
Die Ergebnisse der ersten Gruppenarbeit sind hier zu finden.
Eine zweite Gruppenarbeitsphase beschäftigte sich mit der Frage „Was soll uns zukünftig als Freiwilligenagenturen tragen und bewegen?“. Hierfür sollten die Teilnehmenden aus vorgegeben Themen einen Trend identifizieren, der ihrer Meinung nach für das Feld des bürgerschaftlichen Engagements besonders relevant sein wird. Dazu wurde eine Vielzahl an weiterführenden Gedanken und Fragen formuliert, die in Teilen gezeigt werden können.
Lernen aus der Praxis: Sechs Workshops für eine zielgerichtete Navigation
Von den Kolleg:innen aus der Praxis lernt es sich bekanntermaßen am besten. Mithilfe von Beispielen aus Freiwilligenagenturen und Landesarbeitsgemeinschaften konnten die Teilnehmenden in sechs Workshops ihren Horizont erweitern und Ideen sowie Anregungen für die eigene Arbeit sammeln.
Wissen und Methoden: Was brauchen die Freiwilligenagenturen zur Navigation?
Für die Aufgaben, Ziele und künftigen Herausforderungen benötigen Freiwilligenagenturen nicht nur Beispiele aus der Praxis, sondern ebenfalls spezifische Kompetenzen und Methoden. Daher lernten die Teilnehmenden in einer zweiten Workshoprunde spezielle Techniken und Methoden für die praktische Arbeit kennen.
Der Klassiker unter den Programmpunkten: Der Kulturabend in der Moritzbastei
Trotz langer Unterbrechung knüpfte die Jahrestagung an eine langjährige Tradition an: Auch in Leipzig fand der Kulturabend wieder statt, dieses Mal in der „Veranstaltungstonne“ der Moritzbastei. Das Team des Kulturabends nahm humoristisch die Welt der Freiwilligenagenturen auf die Schippe, ergänzt durch Beiträge von verschiedenen Freiwilligenagenturen.
Ein Tagungsabschluss im Spiegel der Stadt und Geschichte: Leipzig „Stadt der Freiheit“
Alle Zeichen stehen auf Leipzig – das galt zumindest für den dritten Tagungstag. In der historischen Alten Börse, direkt neben dem Leipziger Rathaus, stand das Engagement, die Geschichte und die Stadt Leipzig selbst im Fokus des letzten Tagungstages. Davon hat die Stadt viel zu bieten: In der Nikolaikirche fand die friedliche Revolution mit den Friedensgebeten ihren Anfang und mit den Montagsdemos ihren Höhepunkt.
Wie (gesellschaftliche und politische) Räume Engagement prägen
Einen Einblick in die stadtpolitischen Konfliktlinien und zivilgesellschaftlichen Dynamiken seit der Wiedervereinigung 1990 gab Prof. Dr. Dieter Rink vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Dabei zeichnete er verschiedene Phasen der Stadtentwicklung nach. Ausgehend von massiven Umweltproblemen und einer schrumpfenden Stadt zur Wendezeit, über Re-Industrialisierung und Re-Urbanisierung in den 2000ern, bis hin zum heutigen Leipzig Boom.
Diese Entwicklung war auch immer begleitet von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Engagement. Sie richten sich auf städtische Problemlagen und haben, laut Dieter Rink, eher einen „konservierenden Charakter“. Sei es mit Protest gegen den Abriss von Altbauten in den 1990ern oder mit mietpolitischen Initiativen im heutigen Leipzig. Hier zeigte er einige Beispiele auf: Ein Bündnis für die Entwicklung einer Brachfläche hin zu einem Stadtteilpark, eine „Recht auf Stadt“-Initiative oder Umweltgruppen zur Revitalisierung von Gewässern in den 90er Jahren. Engagement sei in Leipzig weit verbreitet und ausdifferenziert, so Rink. Gleichzeitig ist es häufig eher jung. Ältere Menschen würden das Engagement allerdings über einen langen Zeitraum tragen.
Die Präsentation von Prof. Dr. Rink ist hier zu finden.
Stadtführungen durch Leipzig
Nach dem Vortrag von Prof. Dr. Rink starteten die Teilnehmenden damit, den Leipziger Raum selbst zu entdecken. Gemeinsam mit Stadtführer:innen wurden verschiedene Orte und Sehenswürdigkeiten der Innenstadt besucht.
Wie Geschichte(n) Menschen und ihr Engagement beeinflusst
Die Leipziger Bürgergesellschaft war ein wichtiger Teil für die friedliche Revolution 1989, so lautet eine der ersten Aussagen des Kulturhistorikers und -soziologen Prof. Dr. Bernd Lindner. Mit persönlichen Einblicken erläuterte er die friedliche Revolution und deren zivilgesellschaftliches Erbe in Leipzig.
Bis zum Herbst 1989 hätte es einen sukzessiven Aufbau einer Bewegung gegeben, die mit der Großdemonstration am 9. Oktober ihren Höhepunkt fand und das Ende der DDR einleitete. Mit den Friedensgebeten und Montagsdemonstrationen sei das Selbstbewusstsein der protestierenden Menschen „von Montag zu Montag gestiegen“. Dies habe auch zu einer großen Politisierung der Leipziger:innen geführt. Zwar sei dieser Impuls von 1989 durch die Wendejahre verpufft, so Lindner, trotzdem zeige sich die Leipziger Bürgergesellschaft durch verschiedene Organisationen – darunter das Archiv der Bürgerbewegungen, die Leipziger Umweltorganisationen oder die Vielzahl von Stiftungen in der Stadt.
Auch Bernd Linder betont – der Raum präge Engagement, wie es sich an dem Engagement für die Freilegung versiegelter Flüsse zeige. „Den Finger in die Wunde legen“, ist laut Linder eine wichtige Funktion von bürgerschaftlichem Engagement.
Standorte bestimmt, GPS justiert? Schlussbetrachtungen auf die bagfa-Jahrestagung 2023
Nach drei Tagen in Leipzig blicken wir auf eine Jahrestagung zurück, die einiges erreicht hat. Den Teilnehmenden gelang es, die Rolle von Freiwilligenagenturen zu verorten und gleichzeitig den Blick auf die drängenden Herausforderungen unserer Gesellschaft zu richten. Wissen und Expertise wurde im Austausch und von Expert:innen vermittelt und diskutiert. Dabei hielt die Jahrestagung Botschaften an die Agenturen bereit, die auch für die weitere Arbeit relevant sind.
Am Ende bleiben 10 kleine und große Beobachtungen von der bagfa-Jahrestagung hängen:
- Experiment Sommertagung geglückt: Eine Jahrestagung im Juni wurde gut aufgenommen und wirkte sich positiv auf die Stimmung aus – trotz teilweise anstrengender Hitze.
- Die Jahrestagung bot eine Selbstvergewisserung für neue und alte Kolleg:innen: Mit den Standortbestimmungen können sowohl erfahrene, als auch neue Mitarbeiter:innen aus den Agenturen weiterarbeiten.
- Die Freiwilligenagenturen sind sich damit ihrer Rolle in der (Zivil-)Gesellschaft bewusst und gleichzeitig bereit, Zukunftsthemen aktiv anzugehen.
- Die Balance zwischen Input und Austausch ist geglückt: Mit Herzlichkeit und Ernsthaftigkeit wurden Themen der Freiwilligenagenturen diskutiert, aber auch der Spaß am persönlichen Austausch fand seinen Platz.
- Freiwilligenagenturen haben Ideen: Dies zeigte sich nicht zuletzt in der Verleihung des „Wünsch Dir was“-Preises.
- Die Jahrestagung als Auszeit: Dreieinhalb Tage außerhalb des Agenturalltags bieten die Möglichkeit zum Perspektivwechsel und Sammeln von Inspirationen – und vielleicht auch zum Durchatmen.
- Die Teams aus den Agenturen profitieren: Die Tagung gibt die Möglichkeiten, sich als Team kennenzulernen und fortzubilden.
- Das Engagement fußt auf einem breiten gesellschaftlichen Fundament: Tagungstag drei hat dies anhand der Leipziger Zivilgesellschaft nachdrücklich gezeigt.
- Gemeinsam tanzen macht immer noch Spaß.
- Nicht noch einmal dreieinhalb Jahre: Mit Sicherheit wird die nächste Jahrestagung nicht so lange auf sich warten lassen.
Wir freuen uns bereits jetzt auf ein nächstes Mal, mit vielen Kolleg:innen, Gästen, Spaß, Neugierde sowie Lust am gemeinsamen Lernen und Diskutieren. Melden Sie sich bei Fragen zur Jahrestagung gerne unter bagfa@bagfa.de.
Wir danken herzlich unseren Kooperationspartner:innen und Unterstützer:innen
in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.