Wenn wir uns gedanklich nach 2019 zurückversetzen, kommt es uns heute schon sehr lang her vor und die eine oder der andere wird vielleicht sogar nostalgisch, wenn es um das sogenannte vorpandemische Leben geht. Wenn wir an den Alltag in der Freiwilligenagentur denken, sah der Arbeitstag in vielen Freiwilligenagenturen doch etwas anders aus. Weniger Kolleg:innen im Homeoffice und vielleicht gab es bei der einen oder anderen Agentur auch noch „konkurrierende“ Dokumente und nirgends Kameras für Videocalls.
Auch in der bagfa hat sich seitdem einiges getan und nach einem anfänglichen Irritationsmoment im Frühjahr haben wir im Herbst 2020 eine Umfrage zum Stand der Digitalisierung in 116 Freiwilligenagenturen durchgeführt. Die Ergebnisse haben wir hier zusammengefasst.
Nah an den Bedarfen und im Austausch
Auf Basis der Erkenntnisse wurde das Programm digital durch:starten konzipiert, eine Fort- und Weiterbildungsreihe für Freiwilligenagenturen, die sich mit Digitalisierungsprozessen beschäftigen woll(t)en. In mehr als 30 Workshops, Sprechstunden und Website-Checks wurden die zahlreichen Chancen und Potenziale ebenso diskutiert wie die weniger erwünschten Effekte einer zunehmenden Digitalisierung der Engagementlandschaft. Neben der Vorstellung digitaler Werkzeuge wurden vor allem Strategien und Ansätze für einen sinnvollen Umgang mit digitalen Möglichkeiten erarbeitet. Im Arbeitsforum Wege in die Digitalisierung teilten vier Freiwilligenagenturen ihre Erfahrungen mit konkreten Tools im Stil eines digitalen Barcamps.
Auf dem Arbeitsforum Digitalisierung in Freiwilligenagenturen – eine Reflexion Ende 2021 wurden die Erfahrungen aus acht Interviews mit Freiwilligenagenturen diskutiert und im Frühjahr in Form einer ermutigenden Handreichung veröffentlicht.
In allen Formaten war wichtig, die Angebote im regen Austausch mit den Freiwilligenagenturen zu entwickeln.
Digitalisierung in der bagfa-Geschäftsstelle
Auch die bagfa Geschäftsstelle hat in den letzten zwei Jahren einen Digitalisierungsprozess umgesetzt. In verschiedenen Teamworkshops wurden digitale Leitlinien für die Arbeit der bagfa entwickelt, die hier nachzulesen sind.
Zweieinhalb Jahre Pandemie – Und wie stehts um die Digitalisierung?
Nach all diesen Maßnahmen, Lernerfolgen (und vielleicht auch mal Misserfolgen) und Diskussionen waren wir jetzt natürlich neugierig, wie es denn jetzt – mehr als zwei Jahre nach Pandemiebeginn – wirklich um die Digitalisierung in den Freiwilligenagenturen bestellt ist. Zwei Jahre nach der ersten Kurzbefragung haben sich dieses Mal 67 Freiwilligenagenturen an der digitalen Umfrage im September 2022 beteiligt, deren Ergebnisse im Arbeitsforum Was bleibt (digital)? Ende Oktober diskutiert wurden.
Spannend ist natürlich die Frage nach der Selbsteinschätzung: Auf welchem Level würden Sie Ihre Freiwilligenagentur im Feld der Digitalisierung verorten? Während sich 2020 noch 44% als Anfänger:innen einordneten, waren es jetzt fast zwei Jahre später nur noch 16%.
Dass die Freiwilligenagenturen nicht unkritisch mit den Entwicklungen umgehen, zeigen die Antworten auf die Aussage „Der digitale Wandel bietet überwiegend Chancen für unsere Freiwilligenagentur“. Die Zustimmung dazu ist auf hohem Niveau genau gleichgeblieben, aber 2020 waren nur 4% der Antwortenden nicht einverstanden, während es mit jetzt 13% einige kritische Stimmen zu Digitalisierungsprozessen im Kontext der Freiwilligenagenturen gibt. In den Text-Antworten zeigt sich, dass digitale Formate nicht für alle Zielgruppen ideal sind und der persönliche Kontakt, sowohl im Team als auch mit den Freiwilligen und im eigenen Netzwerk fehlt, wenn Kommunikation nur noch digital stattfindet.
“Zwischenzeitlich gab es einen enormen Anstieg an Ideen für digitale Lösungen (Padlet usw.), in denen man sich leicht verlieren kann. Hier die für die eigene Agentur und die Teams sinnvollen Innovationen zu identifizieren, war teilweise herausfordernd.”
So fasst eine antwortende Person die neuen Anforderungen an Freiwilligenagenturen zusammen.
Digitaler Handlungsdruck: Wie geht es weiter?
Die Umfrage gliedert sich in vier verschiedene Bereiche:
- Digitalisierung und Freiwilligenagenturen allgemein
- Digitalisierung und Engagement
- Digitale Veranstaltungen
- Digitale Zusammenarbeit
Dabei wurde drei zeitliche Perspektiven abgefragt; die Zeit vor der Pandemie, wie die letzten beiden Jahre wahrgenommen wurden und welche Prognosen für die Zukunft getroffen werden.
Hier zeigt sich ganz deutlich, dass die Pandemie Spuren in der Arbeit der Freiwilligenagenturen hinterlassen hat: In allen Bereichen gaben die Teilnehmenden an, dass digitale Formate und Arbeitsweisen auch in der Zukunft eine größere Rolle spielen werden als vor der Pandemie. Trotzdem wird deutlich, dass Begegnungen vor Ort, so die Hoffnung der Freiwilligenagenturen, in der postpandemischen Zeit wieder mehr genutzt werden.
Die Mischung machts
Auf die Frage, was die Freiwilligenagenturen aus der Pandemie in Bezug auf Digitalisierung mit in die Zukunft nehmen wollen, zeigt sich, dass zum großen Teil auch hier ein notwendiger “Digitalisierungsschub” stattgefunden hat, wie er vielerorts konstatiert wurde. Trotzdem ist eine rein digitale Zusammenarbeit auf Dauer ein Kompromiss für Viele.
Im Hinblick auf digitale Veranstaltungen wird in den Antworten aber auch deutlich, dass dieser Schub auch Schattenseiten für den Arbeitsalltag mit sich bringt: “Der Alltag ist durch die digitalen Formate eindeutig getakteter und die Arbeitsbelastung damit auch höher geworden. Präsenzveranstaltungen entzerren einen Arbeitsalltag.” Die Möglichkeit, sich durch digitale Wege stärker bundesweit zu vernetzen und ein plötzliches Überangebot an Weiterbildungs- und Austauschformaten birgt neben viel Potential auch die Gefahr einer erhöhten Arbeitsbelastung. In den offenen Fragen zeigt sich, dass das Fazit vieler Freiwilligenagenturen zu den Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre sich so heterogen gestaltet wie die Welt der Freiwilligenagenturen selbst. Während die einen mit neuem Schwung und neuen Freiwilligen optimistisch in die Zukunft schauen und Digitalisierung vor allem als Potential wahrnehmen, sind die anderen ständige digitale Kommunikation und die aufwändige Planung von Hybrid-Veranstaltungen leid.
Digitalisierung muss gestaltet werden
In den sehr heterogenen Freitext-Antworten zeigt sich, dass Digitalisierung durchaus große Potentiale für Freiwilligenagenturen bietet, deren Nutzung allerdings neue Anforderungen stellen. Neben der viel gepriesenen digitalen Mündigkeit sind auch Anpassungsfähigkeit und vor allem Ressourcen gefragt. Neben der Hard- und Software-Ausstattung braucht es nämlich vor allem Zeit, Digitalisierungsprozesse in der eigenen Agentur zu navigieren. Ob es um eine Bedarfsanalyse geht, die Recherche zu einem neuen Tool, das berühmte Ausprobieren oder Schulungen mit dem Team: Immer muss Zeit investiert werden, die meist knapp bemessen ist. Wenn Digitalisierungsmaßnahmen in Arbeitsalltag als Zusatzaufgaben “oben drauf” kommen, ist Frustration oft “vorprogrammiert”.
Die Pandemie und damit wegfallende Präsenzveranstaltungen und Projekte haben es manchen Freiwilligenagenturen ermöglicht, sich tiefer mit digitalen Möglichkeiten in verschiedenen Bereichen ihrer Arbeit auseinanderzusetzen und sie konnten davon langfristig profitieren. Es zeigt sich, dass im Vergleich zur Umfrage von 2020 die Nutzung digitaler Tools angestiegen ist und sich die genutzten Tools diversifiziert haben. Während mancherorts Digitalisierungsprozesse gezwungenermaßen Einzug erhielten, konnten in vielen Fällen Arbeitsprozesse erleichtert, neue Zielgruppen erreicht und neue Motivation für zukünftige Entwicklungen gewonnen werden. Da Digitalisierung mittlerweile ein selbstverständlicher Teil unseres Zusammenlebens geworden ist, werden wir gemeinsam darüber im Austausch bleiben und neue Entwicklungen in der bagfa begleiten.