19.09.2022

Was das Engagement (in den Kirchen) besonders macht: 55 Minuten mit… Petra-Angela Ahrens

Das bagfa Digitalgespräch zur Sonderauswertung des 5. Freiwilligensurveys „Kirche, Religion und Engagement in der Zivilgesellschaft“

Der kirchliche und religiöse Bereich ist als fünftgrößtes Engagementfeld von Freiwilligen und Ehrenamtlichen in Deutschland ein spannendes Forschungsfeld.

Erkenntnisse und Einsichten darüber, was dieses Engagementfeld ausmacht, liefert eine im Sommer erschienene Sonderauswertung des Freiwilligensurveys mit dem Titel „Kirche, Religion und Engagement in der Zivilgesellschaft“, herausgegeben vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Foto: Jan Schoelzel

Dort forscht auch Petra-Angela Ahrens im Bereich empirische Kirchen- und Religionssoziologie, wo sie nicht nur diese, sondern auch bereits alle vorherigen Sonderauswertungen zum Freiwilligensurvey begleitet hat. Grund genug für die bagfa, sie im Rahmen unseres 55 Minuten-Formats einzuladen, um über die interessanten Ergebnisse in Bezug auf Engagementförderung zu sprechen und gemeinsam neue Perspektiven für die Zusammenarbeit von Kirchen und Gemeinden und Freiwilligenagenturen auszuloten; anknüpfend an unseren Thementag im September 2021, der unter der Überschrift „Offen für Zusammenarbeit?“ stand.

Wie immer fassen wir hier einige Aussagen aus dem Gespräch, diesmal moderiert von Tobias Kemnitzer, Geschäftsführer der bagfa e.V., für Sie zusammen.

Die Veranstaltung war eine Kooperation der bagfa e.V. mit der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und dem Erzbistum Hamburg.

Warum lohnt der genaue Blick auf den Freiwilligensurvey aus Kirchenperspektive?

Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass der kirchliche Bereich immer schon eine große Rolle im Engagement gespielt hat, was auch im Freiwilligensurvey von Beginn an sichtbar wurde. Der Survey wurde 1999 erstmals durchgeführt, eine Zeit, in der  z.B. auch viele relevante Debatten rund um die Begrifflichkeiten von Ehrenamt und bürgerschaftlichem/freiwilligen Engagement und ihren verschiedenen Implikationen aufkamen. Um Näheres zur Art, zum Umfang und zu religiösen Hintergründen im Engagement herauszufinden, wurden von Beginn an Sonderauswertungen zu jedem der inzwischen fünf Freiwilligensurveys vorgenommen und veröffentlicht, die seither interessante Einblicke liefern – auch für die Praxis – und Diskussionsstoff bieten.

Was sind besonders relevante Ergebnisse?

Menschen mit evangelischer oder katholischer Religionszugehörigkeit weisen insgesamt eine höhere Engagementquote auf als die Gesamtbevölkerung, wozu nicht zuletzt auch die gute Vernetzung der Kirchen in den zivilgesellschaftlichen Strukturen beiträgt

Schaut man dann genauer auf die große Gruppe von (ev./kath.) Engagierten mit Kirche und Religion als Hauptbereich der eigenen Tätigkeit, ergibt sich folgendes Bild:

  • Vor allem Ältere sind stärker vertreten (33%).
  • Es gibt einen hohen Anteil von Frauen unter den Engagierten (63%).
  • Und einen erhöhten Anteil Engagierter mit hoher Schulbildung (48%).

Weitere genannte Besonderheiten:

  • Sind Engagierte in der Gesamtbevölkerung durchschnittlich 47 Jahre, so sind evangelische (53 Jahre) und katholische Engagierte im Bereich Kirche und Religion (52 Jahre) durchschnittlich deutlich älter.
  • Auch wenn der Frauenanteil unter den Engagierten hoch ist, sind in Leitungspositionen nach wie vor mehr Männer tätig.
  • Die Unterschiede zwischen evangelischen und katholischen Engagierten können als gering betrachtet werden.

Die Engagementmotive gestalten sich im Übrigen sehr ähnlich wie in der Gesamtbevölkerung. Auch wenn Altruismus und Nächstenliebe natürlich in einem sehr engen Bezug zu Kirche und christlicher Religiosität stehen, sind die altruistischen Motive wie „anderen Menschen helfen“ oder „etwas für das Gemeinwohl tun“ nicht nur bei kirchlich Engagierten, sondern bei allen Engagierten stark ausgeprägt. Dem stehen auch bei Kirchenzugehörigen sozial geprägte Motive wie „Spaß“ und „mit anderen Menschen zusammenkommen“ keineswegs entgegen, und sie rangieren an vorderster Stelle.

Die Folien von Petra-Angela Ahrens zum Nachlesen finden Sie hier.

Sind die Kirchen und Gemeinden „Closed Shops“?

Die empirische Erkenntnis, dass Menschen mit evangelischer/katholischer Religionszugehörigkeit, die sich eng mit ihrer Kirche verbunden fühlen auch in überwiegender Mehrheit im Kirchen- und Gemeindebereich ehrenamtlich tätig sind, führe in der Außenperspektive schnell zu dem Eindruck, dass die Kirchen so genannte „Closed Shops“ sind – also nur offen für die eigene Gruppe und wenig durchlässig oder divers.

Petra-Angela Ahrens betonte, dass sie dies aus der Innenperspektive des kirchlichen Engagements keinesfalls bestätigt sieht. Einerseits herrsche unter den Gemeinden eine hohe Heterogenität– „es gibt solche und solche“ bezogen auf die Nähe zu dem jeweiligen Sozialraum. Außerdem zeigt auch der genaue Blick in den Freiwilligensurvey, dass die Interessen und konkreten Tätigkeitsfelder der Engagierten in Kirchen und Gemeinden breit gestreut sind und sich keinesfalls nur im engeren religiösen Bereich befinden (z.B. im Bereich Soziales oder Kultur und Musik).

Wenn auch mit geringer Quote (1%), sei im Übrigen auch ein kleiner Anteil von Menschen ohne eigene Religionszugehörigkeit im kirchlichen/religiösen Bereich engagiert.

Um dem Eindruck der „Closed Shops“ entgegenzuwirken, müsse die Kirche sich unbedingt als aktive Playerin und Akteurin in der Zivilgesellschaft sehen und ihren Blick nach außen weiten, gewissermaßen „über die Kirchenmauern“ hinweg. Sozialraumorientierung lautet hier ein wichtiges Stichwort – also den Blick nicht nur auf die Kirchenmitglieder, sondern auf die Menschen im Umfeld der Gemeinde werfen und auf die Interessen und Bedürfnisse dort konkret eingehen.  

Welche Besonderheiten zeigen sich im Bereich Engagement für Geflüchtete?

Hier spielen Kirchen und Gemeinden ja definitiv eine wichtige Rolle – das war bei den Fluchtbewegungen ab 2015 so und zeigt sich auch nun bei der Unterstützung und Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine.

Bemerkenswert: Muslimische Menschen waren 2015/2016 in diesem Feld stärker engagiert als alle anderen.. Allgemein ist die Engagementquote von Menschen muslimischen Glaubens allerdings deutlich geringer als die der Gesamtbevölkerung, was vor allem einer geringeren Einbindung in die zivilgesellschaftlichen Strukturen geschuldet sein dürfte, die noch immer gewichtige Barrieren aufweisen. Insgesamt ist das Engagement von Menschen muslimischen Glaubens im Kontext ihrer muslimischen Gemeinden bisher noch kaum ausgeleuchtet – auch hier wird viel Engagement gelebt.

Welche Auswirkungen hatte Corona für kirchliches/religiöses Engagement?

Natürlich hat die Pandemie auch die Gemeindearbeit stark getroffen. Wo es möglich war, wurde zwar auf digitale Räume ausgewichen, insgesamt sei jedoch die persönliche Kommunikation und der menschliche Austausch im kirchlich/religiös geprägten Engagement so zentral, dass digitale Formate hier nur bedingt bzw. in Teilen Ersatz bieten können.

Wiederholungsbefragung Freiwilligenagenturen – was war hier spannend im Bezug zu Kirche und Gemeinden?

In der von der bagfa Ende 2021 herausgegebenen Studie „Freiwilligenagenturen in Deutschland. Die Befunde der dritten quantitativen Wiederholungsbefragung“ haben  77% der befragten Freiwilligenagenturen angegeben, dass sie bereits mit Kirchen kooperieren – für unseren Gast eine erfreuliche Zahl und ein enormes Potential.

Die Nachfrage zu den Tätigkeitsbereichen, in die Freiwilligenagenturen Bürger:innen vermitteln, ergab, dass der Bereich Kirche und Religion lediglich im unteren Drittel der Engagementbereiche rangiert. Zu bedenken ist jedoch, dass die Angebotspaletten von Kirchengemeinden auch den größeren Teil der anderen dort aufgeführten Bereiche umfassen.

Was braucht es für eine gelingende Zusammenarbeit von Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden? Wie können die notwendigen Brücken geschlagen werden?

Diese Frage war bereits beim bagfa Thementag „Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden: Offen für Zusammenarbeit?“ im vergangenen Jahrganz zentral (siehe hier). Dort wurden folgende Aspekte für die Zusammenbeißt gemeinsam erarbeitet:

  • Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Abbau von gegenseitigen Vorurteilen
  • Klare Ansprechpersonen und Verantwortliche in den Kirchengemeinden
  • „Grenzgänger:innen“, die beide Seiten kennen, Kirche und Freiwilligenagenturen
  • Gute Zusammenarbeit auch nach außen sichtbar machen
  • Offene Haltung gegenüber Talenten und Ideen von außen

Petra Angela-Ahrens würde diese Aspekte nach wie vor als zentral und wichtig unterschreiben und betonte noch einmal die enorme Relevanz von persönlicher Kommunikation und einem echten und offenen Aufeinander zugehen. Nur wenn beide Seiten für einen wirklichen Perspektivwechsel bereit sind und sich nach den jeweiligen Bedürfnissen erkundigen, kann es an dieser Stelle vorangehen. Und sie machte deutlich, dass so ein Ansatz des Perspektivwechsels in letzter Konsequenz dazu führt, dass sich Strukturen wirklich ändern. Und dafür müssen die beteiligten Akteure dann auch tatsächlich bereit sein.

Generell finde Veränderung in der Kirche noch zu oft „nur“ in Form von Projekten statt und das notwendige Anpacken von Grundstrukturen dauere immer noch (zu) lange.  

Wie bleibt unser Gast zuversichtlich, angesichts der zahlreichen aktuellen Krisen?

Zum Schluss gibt Petra-Angela Ahrens zu, dass natürlich auch sie manchmal am liebsten die Augen vor der dystopisch anmutenden Weltlage verschließen würde und es gar nicht leicht sei, einen guten Umgang damit zu finden. Ihr Credo: Die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten und die eigenen Handlungsmöglichkeiten nutzen – auch wenn diese nicht gleich die ganze Welt retten können. Denn auch Engagement im Kleinen kann große Hoffnung geben!