28.09.2021

Offen für Zusammenarbeit? Ein bagfa-Thementag mit Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden

Dokumentation zum digitalen Thementag am 24. September 2021

Der kirchliche und religiöse Bereich ist nach dem Freiwilligensurvey 2019 das fünftgrößte Engagementfeld von Freiwilligen und Ehrenamtlichen in Deutschland. Es gibt sogar Freiwilligenagenturen, die in Trägerschaft von Gemeinden gegründet wurden. Dennoch spielt der kirchliche Engagementbereich bei Freiwilligenagenturen bisher keine bedeutende, flächendeckende Rolle, obwohl gemeinsame Bezüge auf der Hand liegen und oft bereits alltäglich umgesetzt werden, wie zuletzt bei der Corona-Nachbarschaftshilfe.
Woran es liegt, dass die Potenziale der Zusammenarbeit zwischen Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden bislang kaum genutzt werden, war eine der zentralen Fragen beim Online-Thementag am 24. September 2021, bei dem knapp 50 Teilnehmer:innen von beiden Seiten digital zusammen kamen. Was sie bei ihrer gemeinsamen Spurensuche gefunden, wie sie ihre unterschiedlichen Perspektiven, Selbstverständnissen und Haltungen zusammengefügt und diskutiert haben, das fassen wir hier zusammen.

Der Thementag “Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden: Offen für Zusammenarbeit?” war eine Kooperationsveranstaltung der bagfa e.V. mit der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und dem Erzbistum Hamburg.

Mehr auf potenziell Engagierte zugehen und ihren Talenten Platz bieten:
Gespräch mit Bischöfin Prof. Dr. Beate Hofmann von der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

Nachdem eine kurze interaktive Kennenlern- und Aufwärmrunde die Teilnehmer:innen miteinander bekannt und thematisch eingestimmt hat, folgte ein spannendes Auftaktgespräch mit Prof. Dr. Beate Hofmann von der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, die vor ihrem Amt als Bischöfin als Engagementforscherin tätig war und sich den Fragen der Interviewerin Anneke Gittermann (Fachstelle Engagementförderung Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck) stellte.

Auf die Eingangsfrage nach der besonderen Sichtweise von Kirchengemeinden auf Engagement (im Vergleich zu anderen Organisationen), betonte Hofmann zunächst die tiefe Verankerung von Engagement im Glauben selbst, der sich insbesondere durch den Wert der Nächstenliebe ergebe. Ehrenamtlich tätig zu sein könne als selbstverständliche Folge des Glaubens verstanden werden, wodurch sich natürlich der Umgang mit und die Art der Ansprache von Engagierten verändere. Letztlich müsse man anerkennen, dass in Kirchengemeinden meist eine andere „Engagement-Kultur“ als in anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen vorliege. Die Bischöfin wies jedoch darauf hin, es handele sich hierbei um ein Idealbild, natürlich könnten auch im kirchlichen Bereich sehr vielfältige Motivationen eine Rolle spielen, aus denen heraus Menschen sich engagieren. Dabei kann, aber muss der eigene Glaube nicht immer ausschlaggebend sein.  

Was bedeuten unterschiedlichen Sichtweisen auf Engagement für die Zusammenarbeit von Gemeinden und Freiwilligenagenturen?

Anneke Gittermann beschrieb hier zunächst die Situation, wonach selbst Freiwilligenagenturen in kirchlicher Trägerschaft die Erfahrung machten, dass sich Kirchengemeinden nicht automatisch angesprochen fühlen: Dass sie zum Beispiel seltener ihre Engagementangebote über die Freiwilligenagentur publizieren, seltener an Engagementbörsen teilnehmen, seltener Projekte der Freiwilligenagenturen (wie z.B. Freiwilligentage oder social days mit Unternehmen) nutzen als bspw. diakonische Organisationen oder Einrichtungen der Caritas.

Um zu erklären, woran das liegen könnte, zog die Bischöfin die drei zentralen Handlungslogiken von Kirchengemeinden heran, nach denen diese Mitarbeiter:innen und auch Ehrenamtliche ansprechen:

  • Vom Auftrag Jesu her denkend – daraus ergeben sich Aufgaben für ehrenamtliches Engagement.
  • Problemorientierung – wo lassen sich Probleme erkennen, die Lösungen/Hilfen brauchen? Wo wird konkret Unterstützung gebraucht?
  • Gabenorientierung – von den Talenten und Fähigkeiten der Menschen ausgehend ergeben sich Tätigkeiten und Arten und Weise des Engagements.

Gerade die Gabenorientierung sei laut Hofmann eine Herausforderung für Kirchengemeinden, denn sich an den Talenten und Ideen von Freiwilligen zu orientieren, werde nicht selten als Zusatzbelastung angesehen. Hier seien Freiwilligenagenturen besser aufgestellt, die es als eine ihrer zentralen Aufgaben sehen, Menschen primär nach ihren Bedarfen in ein passendes Engagement zu bringen.

Handlungslogiken verstehen, Kompetenzen bündeln

Insbesondere beim Blick in die Zukunft sieht die Bischöfin eine große Notwendigkeit, sich mehr um die Gewinnung von Engagierten zu kümmern, und fordert die Kirchengemeinden dazu auf, hierbei noch proaktiver zu werden. Die Kompetenz der Kirchengemeinden läge in der Begleitung, weniger im Ansprechen und Werben für ein Engagement. Gleichzeitig sei es wichtig, dass auch Freiwilligenagenturen stärker versuchten, die Handlungslogiken von Kirchengemeinden zu verstehen.

Ein weiterer Aspekt, der sicherlich zu gewissen Reibungen zwischen Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden führen kann, sei der Umgang mit Sprache und Begrifflichkeiten. Ist beispielsweise Freiwilligenmanagement für Freiwilligenagenturen bereits zum fest etablierten Bestandteil ihrer Arbeit geworden, empfänden viele Kirchengemeinden diesen Begriff ob der ökonomischen Färbung als für sie unpassend.

Doch auch das Verbindende hat die Bischöfin trotz der verschiedenen Herangehensweisen nicht außer Acht gelassen: Gemein sei Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden vor allem das große Ziel, Menschen ins Engagement zu bringen, sie dabei zu begleiten und ihre Tätigkeiten aktiv wertzuschätzen.

Mehr Kooperation, weniger Konkurrenz!

Natürlich gebe es auch Konkurrenzen, aber, so lautet ihr Apell zum Schluss: Wir sollten stärker sozialraumorientiert und in Kooperationen denken anstatt in Konkurrenzen. Dafür brauche es neben einem Wandel im Kopf auch gute Beispiele, wie die Logiken von Konkurrenz und Abgrenzung abgebaut werden können.

Aus dem Publikum kommen zustimmende und ergänzende Worte: Die Kirche lebe vom Ehrenamt, sollte sich aber noch mehr öffnen, sagt eine Teilnehmerin, eine andere ergänzt, dass es leider nicht in allen Gemeinden eigene Zuständige für das Ehrenamt gebe, was die Sache natürlich erschwere. Betont wurde auch, dass das „Fremdeln“ zwischen Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden oft ein beidseitiges sei, es aber dennoch an vielen Stellen bereits gute Beispiele für geglückte Annäherung und erfolgreiche Kooperation gebe.

Partnerschaft mit Hindernissen? Das Selbstverständnis von Kirchengemeinden und Freiwilligenagenturen

In gemeinsamen virtuellen Dialogräumen ging es anschließend darum, das Selbstverständnis von Kirchengemeinden und Freiwilligenagenturen in Hinblick auf Engagement zu beleuchten. Den Ausgangspunkt dafür bildeten zwei verschiedene Thesen und dazugehörige Fragen. Die Teilnehmenden sammelten Ihre Antworten und Ideen auf virtuellen Padlets. Nachfolgend einige Einblicke (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

These A:
Freiwilligenagenturen haben Kirchengemeinden als Engagementbereich und Akteur in der Engagementlandschaft nicht auf dem Schirm.

These B:
Kirchengemeinden haben Freiwilligenagenturen nicht auf dem Schirm und sehen sich nicht als wichtigen Akteur in der Engagementlandschaft.

Im Plenum wurden die Ergebnisse anschließend vom Moderationsduo, gebildet aus Ina Wittmeier (Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau) und Wolfgang Krell (Freiwilligen-Zentrum Augsburg), in einem virtuellen Streitgespräch auf sehr erheiternde Weise zusammengefasst.

Chancen ohne Nebenwirkungen? Wie können Kooperationen zwischen Gemeinden und Freiwilligenagenturen angestoßen werden?

Ziel des Thementages war freilich auch ein gemeinsamer Blick in die Zukunft, um konkrete Möglichkeiten für Kooperationen auszuloten und anzuregen. In weiteren Dialogräumen wurden am Nachmittag vier Fragen rund um potenzielle Synergien diskutiert.

Die Ergebnisse wurden erneut auf digitalen Pinnwänden festgehalten, von denen wir einige Ausschnitte hier für Sie zusammengefasst haben.

Und keine Fragen offen? Wie könnten wir weitermachen?

Nach kurzen Highlight-Berichten aus der Gruppenphase wurde es zum Schluss des Thementages noch einmal ganz direkt: Ist das Verständnis füreinander nach der gemeinsamen Tagung nun gewachsen? Erfreulicherweise bejahte dies der Großteil der Runde oder betonte sogar, dass es auch zuvor bereits erfolgreiche Annäherung oder langjährige Zusammenarbeit gab. Dies in einem Format wie dem Thementag noch stärker in den Blick zu nehmen und aktiv ins Gespräch zu kommen, wie es in Zukunft weitergehen kann, habe definitiv dabei geholfen, noch mehr Verbindungen miteinander herzustellen und sichtbar zu machen.

Tobias Kemnitzer schloss den Tag mit dem Wunsch und dem Appell, sich weiter miteinander zu vernetzen und im Austausch zu bleiben, und regte insbesondere das Teilen von guten Beispielen und das Erkunden von gemeinsamen Handlungsspielräumen an.

Die bagfa dankt allen Teilnehmer:innen für die anregende und produktive Atmosphäre. Ein besonderer Dank gilt allen Beteiligten im Vorfeld für Vorbereitung, Organisation und Moderation:

  • Ina Wittmeier, Ehrenamtsakademie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
  • Anneke Gittermann, Fachstelle Engagementförderung Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck
  • Wolfgang Krell, Freiwilligen-Zentrum Augsburg gGmbH
  • Gabriele Glandorf-Strotmann, Erzbistum Hamburg
  • Christiane Metzner, Amt für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
  • Anne Muirhead, Amt für kirchliche Dienste in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
  • Tobias Kemnitzer, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e.V. (bagfa)

Zuletzt ein Hinweis: Auch im nächsten Jahr soll das Thema Freiwilligenagenturen und Kirchengemeinden wieder aufgegriffen werden. Als Termin ist dafür bereits der 16. September 2022 für einen Thementag in Präsenz in Kassel eingeplant. Wir freuen uns, wenn Sie sich diesen bereits vormerken und werden sie rechtzeitig informieren, wie es weiter geht,