Keine Rechtsberatung, aber spannende Hinweise zur Gemeinnützigkeit und politischen Haltungsfragen der Zivilgesellschaft: Einsichten aus unserem Digitaltalk mit Stefan Diefenbach-Trommer
Eine wahre Protestwelle hat sich in den vergangenen Monaten in ganz Deutschland ereignet: Wachgerüttelt durch rechtsextreme Ausgrenzungspläne, sind Millionen Menschen auf die Straße gegangen.
Die Demonstrationen haben ein hoffnungsvolles Zeichen gesetzt, sind aber auch mit Unsicherheiten und Fragen verbunden. Was folgt auf die Proteste und wie können wir die freigesetzte Energie auch weiterhin nutzen? Und dürfen wir uns als gemeinnützige Organisationen überhaupt politisch äußern?
Diese und viele weitere Fragen waren Thema unseres Digitaltalks „55 Minuten“, zu dem wir mit einem echten Experten in Sachen Gemeinnützigkeit ins Gespräch kamen: Stefan Diefenbach-Trommer ist Vorstand der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, zu der über 200 Vereine, Stiftungen und Initiativen gehören. Außerdem engagiert sich der gelernte Journalist bei der Bewegungsstiftung und arbeitete in der Vergangenheit bei „Bahn für alle“, „ausgestrahlt“ oder „Attac“.
Der Digitaltalk ist hier zum Nachhören auf unserem YouTube-Kanal zu finden.
In dieser Kurzdokumentation haben wir fünf zentrale Einsichten aus dem Gespräch mit Stefan Diefenbach-Trommer festgehalten:
1. Die Proteste der letzten Wochen waren ein ermutigendes Zeichen und haben eine wichtige Wirkung für die Gesellschaft.
Für die vielen Menschen, die an Demonstrationen teilgenommen haben, wurde ein Gefühl der Ermutigung und des Empowerments ausgelöst, so Stefan Diefenbach-Trommer. Es sei wichtig zu sehen, dass es Leute gebe, die sich einsetzen und Mühe geben – etwa auch für nicht-weiße Menschen, denn sie würden merken, dass sie nicht allein für ihren Schutz kämpfen. Zwar engagieren sich laut Diefenbach-Trommer nicht alle Demonstrationsteilnehmenden langfristig, doch es gibt einen Teil, der auch weiterhin zivilgesellschaftlich aktiv bleibt. Dies sei ein Saatkorn, aus dem etwas wachsen könne.
Bei der Protestwelle handele es sich bereits um eine Bewegung, denn es sei gelungen, dass sich die Themen rund um Demokratie und die Bedrohung durch Rechtsextremismus in weiten Teilen der Gesellschaft verankerten. In der Familie oder in der Straßenbahn reden die Menschen über die Fragen „Was kann ich tun?“. Hieraus ergebe sich für Diefenbach-Trommer ein zivilgesellschaftliches Potenzial, das auch bestehende Organisationen unterstützen könnten, indem sie ihre Expertise teilen oder Ressourcen zur Verfügung stellen.
Unser Überblick “Engagement und Freiwilligenagenturen stärken Demokratie” hält viele weitere Handreichungen und Leseempfehlungen zum Thema bereit.
2. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten mutig sein, sich politisch zu äußern. Gleichzeitig müssen Risiken und Konsequenzen abgewogen werden.
Diefenbach-Trommer rät: Die Zivilgesellschaft und auch Freiwilligenagenturen sollten mutig voran gehen und sich klar politisch positionieren. Offenheit und Haltung seien hier zwei wichtige Merkmale. Zum einen brauche es eine „Politik der offenen Tür“, um Meinungen zu diskutieren und Austausch zu ermöglichen. Gleichzeitig helfen klare „Leitplanken“, sich gegenüber rechtsextremem oder menschenverachtendem Gedankengut abzugrenzen.
Unsicherheiten gebe es häufig in Sachen Gemeinnützigkeit und dessen Grenzen. Diefenbach-Trommer rät eher davon ab, sich nur auf anwaltliche Beratung zur Klärung dieser Unsicherheiten zu verlassen. Diese würde eher defensiv ausfallen und nicht ermutigen, Grenzen auszutesten. In Sachen Demokratie und deren Stärkung sei es aber entscheidend, aus der Sicherheitszone herauszutreten, denn das Thema sei zu wichtig. Für Stefan Diefenbach-Trommer gilt es abzuwägen: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, die Gemeinnützigkeit zu verlieren? Welchen Schaden bringe das mit sich? Was sind die weiteren Konsequenzen? Aber auch: Was wäre der Schaden, wenn wir es nicht tun?
3. Im Gemeinnützigkeitsrecht gibt es einige rote Linien – aber auch Spielräume, um sich zu positionieren.
Doch trotz dieser Ermutigung gebe es auch einige rote Linien im Gemeinnützigkeitsrecht, die laut dem Experten zu beachten sind. Bei allen politischen Aktivitäten sei wichtig, die in der Satzung niedergeschriebenen Zwecke der Organisation nicht aus dem Blick zu verlieren. Als Sportverein könne man sich etwa politisch äußern, solange man weiterhin Sport betreibt oder fördert. Setze man sich beispielsweise gegen Rassismus ein, könne dieser Zweck auch in die Satzung aufgenommen werden, um Sicherheit für die Gemeinnützigkeit zu schaffen. Eine klare rote Linie sei etwa die direkte Unterstützung einer einzelnen Partei, so Diefenbach-Trommer. Zur Wahl einer bestimmten Partei aufzurufen sei mit dem rechtlichen Rahmen nicht vereinbar. Allerdings sei eine Äußerung gegen eine Partei möglich, solange man diese sachlich begründen kann, etwa wenn deren Programm den eigenen Zwecken entgegensteht, die man als Verein verfolgt.
Grundsätzlich gilt: Als Organisation darf ich nur nach dem Gemeinnützigkeitszweck handeln und diesen nicht entfremden. Politische Aktivitäten lassen sich meist aber auch für den zugrundliegenden Zweck begründen. Eine Ausnahme sei in dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) hinterlegt. Vereinzelt sei es dadurch möglich z.B. zu einer Demonstration aufzurufen, ohne Gefahr zu laufen, die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Unsicher ist laut Diefenbach-Trommer allerdings, was unter solche einzelnen Ereignisse fällt und wann eine dauerhafte Aktivität beginnt. Es blieben einfach viele Grauzonen.
4. Der Staat hat ein ambivalentes Verhältnis zu Zivilgesellschaft und Engagement, welches historische Wurzeln hat.
Warum werden Vereine und zivilgesellschaftliche Organisationen so in ihrem politischen Engagement beschränkt? Stefan Diefenbach-Trommer nennt hierfür einen historischen Grund. Das Konzept der Gemeinnützigkeit sei bereits im Deutschen Kaiserreich entstanden, also in einem Staat mit starker Obrigkeitsorientierung, in denen Engagement nicht immer erwünscht war. Auch in Zeiten einer liberalen Demokratie und eines starken Rechtsstaates würden diese Wurzeln zu Ambivalenzen führen: Engagement sei willkommen, gleichzeitig aber auch störend, so Diefenbach Trommer. So hilfreich es beispielsweise sei, wenn sich gemeinnützige Akteure um Menschen ohne Obdach kümmern, so gefährlich kann es aus staatlicher Sicht auch anmuten, wenn damit auf grundlegende Problemlagen hingewiesen wird. Besonders wenn staatliche Defizite aufgezeigt würden, führe dies zu Reibung zwischen dem Staat und der Zivilgesellschaft.
Als problematisch führt der Experte an, dass Parteien gemeinnützige Organisationen manchmal durch ihre Brille parteipolitisch verorten. Dies lenke von der hohen Relevanz der Gemeinnützigkeit für die Demokratie und den Rechtsstaat ab. Die Zivilgesellschaft müsse sich auch weiterhin politisch, wenn auch nicht parteipolitisch, äußern können. In unserer parlamentarischen Demokratie seien Parteien zwar zentrale Akteure der politischen Willensbildung, so Stefan Diefenbach-Trommer, aber nicht die einzigen. Im Grundgesetz seien Parteien hervorgehoben, hätten aber kein Exklusivrecht auf politische Willensbildung.
5. Es braucht eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, damit die Zivilgesellschaft auch weiterhin Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte stärken kann.
Laut dem Experten sind drei Reformen im Gemeinnützigkeitsrecht dringend notwendig. Zuerst seien in der Abgabenordnung zentrale gemeinnützige Zwecke zu ergänzen, die für die Stärkung unserer Demokratie aber wichtig seien. So fehlten etwa noch die Arbeit für Menschenrechte oder die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Außerdem bräuchte es eine eindeutigere gesetzliche Klarstellung zu politischen Mitteln, die gemeinnützige Organisationen ergreifen dürfen. Ansonsten würden weiterhin die zuständigen Finanzämter allein eine Auslegung vornehmen, gegebenenfalls korrigiert durch Gerichtsentscheidungen. Dritter Punkt ist die Gelegenheit zum politischen Engagement über den eigenen Zweck hinaus: Hier solle Abstand genommen davon genommen werden, dass nur anlassbezogen vereinzelte Handlungen konform sind, da die Situationen, in denen politisches Engagement nötig ist, durchaus länger dauern könnten.
Laut Stefan Diefenbach-Trommer ist es wichtig, dass das Gemeinnützigkeitsrecht jetzt „sturmsicher“ gemacht wird – gerade auch im Hinblick auf sich verändernde politische Mehrheiten und eine demokratiegefährdende Bedrohungslage. Je unklarer die Gesetzeslage zur Gemeinnützigkeit, umso angreifbarer ist die demokratische Zivilgesellschaft – vor allem wenn sich die politische Stimmung in Deutschland ändert. Viel Hoffnung kann der Experte aber nicht machen: Derzeit zeichne sich keine politische Einigung ab, das Gemeinnützigkeitsrecht zu reformieren.