30.09.2020

Vom digitalen Engagement bis zur digitalen Souveränität: 55 Minuten mit Anne-Sophie Pahl von youvo.org

Die vierte Ausgabe des bagfa Digital-Gesprächs über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung für die Zivilgesellschaft

Foto: Sebastian Schütz

Die Digitalisierung, die kriegt man einfach nicht mehr weg, sagte so schön jemand beim Netzwerkpartnertreffen der Aktion Mensch, das dem bagfa-Digitalgespräch mit Anne-Sophie Pahl vorausging. Die Gründerin von youvo e.V., die auch Organisationen zu den Themen Digitalisierung und Kommunikation berät, zeigte in einer knappen Stunde, was es braucht, um Digitalisierung hinzukriegen. Mit der Online-Plattform youvo.org schuf sie gemeinsam mit anderen eine Online-Plattform, die Kreative und Digitalexpert/innen mit sozialen Organisationen zusammenbringt; eine besondere Form digitalen Engagements. Hier einige Einsichten aus den 55 Minuten:

Was ist „Digitale Souveränität“ – und warum soll das was Gutes sein?

Digitale Souveränität ist mehr als ein Schlagwort, sondern ein Konzept, um auf die potentiell alles umwälzenden Folgen der Digitalisierung mit eigener Haltung zu reagieren. Angelehnt an die staatliche Souveränität, ist laut Anne-Sophie Pahl gemeint: unabhängig und selbstbestimmt im digitalen Raum unterwegs sein können und über die entsprechende Mündigkeit und Offenheit verfügen. Im Idealfall hat man das Wissen über alle Implikationen und Tücken der digitalen Umwelten, in denen man agiert. Man weiß, was für einen selbst und die Zielgruppen relevant ist, und hat die Fähigkeiten, gezielt Tools etc. auszuwählen und einzusetzen, die dafür taugen. Stichwort Nutzer/innenorientierung.
Die Leitfrage für Freiwilligenagenturen sei zu bestimmen, was die eigene Rolle ist, um dazu passend ein digitales Verhalten zu entwerfen. Zur Haltung gehört dabei dazu, nicht nur nach der Bequemlichkeit zu gehen. Wer souverän sein will, muss für Anwendungen auch Geld bezahlen. Spätestens hier, so fügt Anne-Sophie Pahl gleich hinzu, beißt es sich natürlich: Das Ideal liegt oft quer zu den real existierenden Umständen der knappen Ressourcen an Zeit und Geld.

Aber wer ist schon „digital souverän“?

Ein großer Überraschungsmoment, denn zunächst gesteht die Expertin: Sie selbst fühlt sich nicht digital souverän – weil sich so viel so schnell ändert, dass sie nicht bei allem hinterherkommt. Bei Programmen änderten sich etwa die Nutzungsbedingungen. Was man eben noch empfehlen konnte, ist plötzlich nicht mehr akzeptabel. So stieß man auf das Problem der Expertise: Je mehr man weiß, umso mehr weiß man, was man nicht weiß. Souverän in diesem Sinne ist dann nicht jemand, der/die seine Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit behauptet – sondern die/der die eigene Unsicherheit sieht und danach handelt.
Eine Umfrage unter den Teilnehmenden ergab: Nur eine Mitarbeiterin hielt sich für „digital souverän“, die meisten anderen „irgendwie schon“. Laut der Expertin ein Ergebnis, wie man es in vielen Organisationen finde. Im Chat schreibt jemand, sie würde sich an das Know how eines Kollegen „anhängen“, worauf eine andere schreibt: „Das mache ich auch so“.

Was ist dann Digitalisierung?

Weil es immer neue Möglichkeiten gibt und/oder sich bestehende verändern, ist Digitalisierung ein Lernprozess, der nie aufhört.

Was ist eine Nebenwirkung des Corona-Digitalisierungsschubs?

Man könne oft einer neuen Fehler- und Lernkultur beiwohnen, sagt Anne-Sophie Pahl. Vieles funktioniert oft nicht beim Videocall oder der Bildschirmpräsentation, aber die Menschen bleiben entspannt und aufgeschlossen. Das bringt ein anderes Miteinander hervor, was immer sehr hilfreich sei. Etwas gemeinsam ausprobieren, darum geht es.

Warum geht Digitalisierung oft schleppend voran?

Weil sie oft mit Machtfragen verknüpft ist? Viele Mitarbeitende seien startklar – aber nicht unbedingt diejenigen auf den Hierarchieebenen darüber. So komme es, dass Digitalisierungs- zuweilen Hierarchiefragen werden und mit Kulturwandel verbunden sind.

Was passiert, wenn „Digitalisierer“ auf zivilgesellschaftliche Akteure treffen?

Dann gebe es nicht selten Kommunikationsprobleme. Beide Seiten müssten sich an die die Sprache und die Arbeitslogiken der jeweils anderen gewöhnen bzw. eindenken. Umso wichtiger ist, die Augenhöhe zu bewahren und das jeweilige Gegenüber als Experte/Expertin für seinen/ihren jeweiligen Arbeitsbereich wahrzunehmen und das in beide Richtungen. Die Kreativ- und Digitalbranche, so sagt Anne-Sophie Pahl, sei durchaus dazu bereit, auch weil sie sich heute mehr und mehr gesellschaftliche Verantwortung und Engagement auf die Fahnen geschrieben haben.

Welche Lektion in Sachen Freiwillgenmanagement haben die youvo-Gründer/innen ganz am Anfang gelernt?

Schnell bestätigte sich die Vermutung, dass es nicht genügt, eine Online-Plattform zu basteln – und die freiwilligen Kreativen und die gemeinnützigen Organisationen finden sich dann schon selber, damit erstere letztere unterstützen können. Denkste! Beide Seiten müssen in dem empfindlichen Prozess zuweilen intensiv betreut werden, zum Beispiel weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen, siehe oben. Vorgesehen ist ein persönliches Gespräch mit den Organisationen zu Beginn, worauf ein kleinschrittiger digitaler Prozess folgt, teil automatisiert auf der Plattform und über automatische Emails, und alles bis zum Projektabschluss von echten Menschen digital und telefonisch begleitet. Von den Arbeitsschritten her ähnlich wie bei Tandems und ‚Matches‘ in Patenschaften oder im Mentoring.

Und was sind Anne-Sophie Pahls Wünsche an Freiwilligenagenturen?

Zuallererst, dass sie mit mehr Selbstbewusstsein auf ihr Angebot aufmerksam machen. Freiwilligenagenturen müssten präsenter sein. In ihrem Freundeskreis wüsste niemand, was das ist.
Gut wäre auch, Freiwilligenagenturen würden sich nach außen aufgeschlossener geben oder kooperativer sein können. Eine Erfahrung, die auch vor einigen Jahren zur Gründung von youvo.org geführt hat, war: Zwei Ihrer späteren Teamkollegen hatten einer Freiwilligenagentur angeboten, ehrenamtlich einen Film über eine soziale Organisation drehen zu können. Die Antwort habe gelautet: Das wird nicht gebraucht.

Die Präsentation von Anne-Sophie-Pahl finden Sie hier als PDF.

Auch auf dem Blog von youvo.org finden Sie unter anderem Beiträge zum Thema digitale Souveränität oder der Frage, wie digitales Engagement gelingen kann.