Dokumentation zum Thementag der bagfa am 21. Januar 2020 in Hagen
Foto: lagfa NRW e.V.
„Kein Grund zur Panik“: bagfa-Thementag diskutierte in Hagen die Lage der Vereine und Möglichkeiten ihrer Unterstützung
„Beitrittsunwilligkeit“: Ist das ein Begriff, der abbildet, was falsch läuft im gegenwärtigen Vereinswesen? Die Erzählung dazu geht so: Kaum stehen Freiwillige in der Tür, die sich engagieren möchten, schon wollen manche Vereine sie als Mitglieder gewinnen – oft vergeblich! Wenig vereinbar stehen hier Wünsche gegenüber: einerseits der nach einer sinnvollen Ersterfahrung im Engagement, andererseits der Drang, sich mit Mitgliedsbeiträgen finanziell über Wasser zu halten. So finden beide Seiten schwer zusammen. Wie es Vereinen geht, wie sie sich als Rückgrat der organisierten Zivilgesellschaft wandeln, und wie Freiwilligenagenturen sie unterstützen können, das wurde bei einem bagfa-Thementag am 21. Januar 2020 in Hagen diskutiert, gemeinsam ausgerichtet mit dem Paritätischen Landesverband NRW und der lagfa NRW e.V.
Zusammen mit den über 50 Teilnehmenden waren sich die Vertreter/innen der Veranstalter/innen einig: Vereine sind und bleiben eine zentrale Größe der Zivilgesellschaft. Immer geprägt von den Trends im Umfeld, sind sie dabei nie als isolierte Einheiten zu betrachten.
„In Vereinen spiegeln sich immer die großen Entwicklungen, die Gesellschaften bewegen.“
Lässt sich das noch für die über 600.000 eingetragenen Vereine verallgemeinern, so fällt es darüber hinaus schwer, generelle Aussagen über die Vereine zu machen. Dafür, so Dr. Matthias Freise in seinem einführenden Vortrag, sei das Feld einfach zu divers. Der Politikwissenschaftler von der Universität Münster hält sich deshalb auch zurück, genau anzugeben, was Vereine sind und was sie gegenwärtig brauchen.
„Die Grundressource von Vereinen ist Solidarität.“
Damit Vereine überhaupt entstehen konnten, so erläuterte er in seinem kurzen historischen Abriss, brauchte es vor allem ein republikanisches Verständnis von Bürger/innen – und keinen Untertanengeist. Für Freise sind Vereine zudem Ausdruck einer gesellschaftlichen Diversität, wie sie sich bei Modernisierung einstellt. Je moderner eine Gesellschaft, desto spezieller die Bedürfnisse, desto wichtiger die vielfältige Organisation von Solidarität.
„Die vielen neuen Fördervereine sind so etwas wie die Stiftungen des kleinen Mannes.“
Wer wie Freise das Vereinswesen kontinuierlich beobachtet, stellt neue Entwicklungen fest. So gebe es aktuell einen Boom von Fördervereinen an Schulen, Museen, Zoos etc. 40% der Neugründungen fielen in diese Kategorie. Daran lasse sich auch ein weiterer roter Faden des Wandels ablesen:
„Die Entwicklung geht weg vom Verein als Lebensort und hin zum Verein als Instrument.“
Alle Vereine müssten mit neuen Rahmenbedingungen zurechtkommen. Etwa mit dem Umstand, dass viele Menschen mehr oder zumindest flexibler arbeiten und ihr Freizeitverhalten stark spezialisieren. Eine Folge auch des Verlust traditioneller Milieus. Freises für NRW naheliegendes Beispiel: die Taubenzüchter. Gab es früher davon noch eine halbe Million in der Region, sind es heute 80.000.
Insgesamt sieht er für das Vereinswesen „keinen Grund zur Panik“, aber einige Herausforderungen. Immer gehören dazu Faktoren, die ein Scheitern wahrscheinlicher machen, als da wären:
“Die fünf Todsünden des Vereinsmanagements: Paternalismus, Verknöcherung, Milieuverhaftung, Kooperationsunlust, Größenwahn“
Die Präsentation von Matthias Freise finden Sie hier als PDF.
In den vier folgenden Workshops wurden spezielle Fragestellungen vertieft und jeweils ein Projekt vorgestellt, das Vereine in besonderer Weise unterstützt.
Workshop Vielfalt: Unterstützung von und für Migrantenvereine
Mit Fatma Karacakurtoglu, Train of Hope Dortmund e.V., und David Alexander Konrad, Fachberatung Migrantenselbstorganisationen in NRW
- Zu den Stolpersteinen gehört, dass die Vereinsarbeit häufig an einzelnen Personen hängt. Scheiden sie aus, ist nicht selten alles gefährdet. Zudem gibt es Konkurrenzsituationen, innerhalb der Organisationen und zu anderen. Kooperationen zu bilden ist dementsprechend ein Gelingensfaktor.
- Freiwilligenagenturen sollten die Potenziale der Migrantenselbstorganisationen nutzen und dabei deren spezifische Voraussetzungen berücksichtigen, um entsprechende Angebote zu machen.
- Eine Tendenz, die beobachtet wird: Neue deutsche Vereine, in denen sich Nachkommen z.B. von Arbeitsmigrant/innen und Geflüchteten engagieren, lehnen das Labeling als Migrantenselbstorganisation ab, denn es entspricht nicht ihrem Selbstverständnis.
Die Präsentation von Fatma Karacakurtoglu finden Sie hier, die von David Konrad hier, jeweils als PDF.
Workshop Qualifizierung und Begleitung
Mit Herbert Schröer, Vereinsbegleiter Bottrop und Stefan Rieker, Paritätischer NRW
- Vereinsbegleiter/innen sind lokale Ansprechpartner, die vor Ort nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ Vereinswerkstätten für interessierte Vorstände anbieten.
- Vereinsbegleiter sind ein wichtiges Angebot gerade für Vereine, die nichtverbandlich organisiert oder eingebunden sind.
- Das Wirken von Vereinsbegleiter/innen gelingt besonders dann, wenn sie sich regelmäßig treffen, zu relevanten Themen, die Vereinen „auf den Nägeln brennen“ (z. B. Datenschutz, Nachfolge, Finanzierung), informieren und ein Vertrauensverhältnis zwischen Teilnehmer/innen entsteht.
- Es ist wichtig, die eigene fachlichen Grenzen zu kennen und im Zweifelsfallan Experten zu verweisen (z.B. bei juristischen Themen).
Die Präsentation von Stefan Rieker finden Sie hier als PDF.
Workshop: Jugend und Nachwuchsgewinnung
Mit Jana Peters, Projekt AttrACTIVE – Jugend verändert Vereine, Freiwilligenagentur Heidelberg
- Es lohnt sich, junge Menschen dafür zu gewinnen und gezielt dafür vorzubereiten, Vereine zu beraten, wie sie leichter Nachwuchs finden können. Wobei je nach Vereinsstruktur auch schon Menschen im mittleren Alter als Nachwuchs gelten können.
- Wenige Impulse können schon wichtige Schritte einleiten. Dabei muss es nicht immer groß als umfassende Beratung angelegt sein, wie im Falle des vorgestellten Projekts. Oft hilft auch schon, junge Menschen im eigenen Umfeld nach Eindrücken und Rückmeldungen zu fragen.
- Vereine verlangen zuweilen zu viel von jungen Menschen. Um Letztere einzubinden, genügt es oft, ihnen einen Raum und ggfs. Verantwortung für etwas zu geben und sie selbst machen zu lassen.
Die Präsentation von Jana Peters finden Sie hier als PDF.
Workshop: Beratung und Service
Mit Marlene Opel, Servicestelle für Vereine, Freiwilligen-Agentur Leipzig
- Ein Instrument mit dem gute Erfahrungen gemacht worden sind, um die möglichen Bedarfe der Vereine vor Ort zu eruieren ist eine Bedarfsanalyse, die auch regelmäßig durchgeführt werden sollte, um auf Veränderungen eingehen zu können.
- Besonders nachgefragte Themen in der Servicestelle in Leipzig sind: Vereinsgründung, Finanzierung und Datenschutz (mit eigener Sprechstunde).
- Ein Format, das gut ankommt – und auch mit wenig Ressourcen leistbar sein kann – ist die Organisation von kollegialen Beratungen untereinander.
- Herausfordernd ist eine sinnvolle Evaluation und Wirkungsmessung für die Beratung zu finden und die alltägliche Abgrenzung zu Steuer- und Rechtsberatung.
Die Präsentation von Marlene Opel finden Sie hier als PDF. Die Bedarfserhebung „Unterstützungsbedarf gemeinwohlorientierter Organisationen in Leipzig“ finden Sie hier als PDF.
In einem Abschlussgespräch mit dem Publizisten Serge Embacher, moderiert von Eva-Maria Antz von der Stiftung Mitarbeit wurden die Gesprächsfäden des Tages zusammengeführt.
Dabei mahnte Serge Embacher an, dass es nichts bringe, nur zu deklamieren, wir seien eine offene Gesellschaft, solange keine konkreten Schritte darauf zugegangen werden. Freiwilligenagenturen können einen aktiven Part übernehmen, um dieses Schlagwort mit Leben zu füllen. Wenn sie Vereine beraten, könnten und sollten Freiwilligenagenturen zudem als Modernisierer wirken.
„Es braucht Akteure, die den häufig sozialstrukturell homogenen Vereinen Impulse geben, sich für unterschiedliche Milieus zu öffnen. Hier liegt ein riesiges Potential von Freiwilligenagenturen, das über die bisherigen Angebote hinausreicht.“
Überhaupt, so Embacher, stecke mehr in Freiwilligenagenturen, als nach außen hin oft deutlich werde. Das, was sie machten, entspreche „in keiner Weise“ dem, wie sie wahrgenommen würden. Für ihn hätten diese Einrichtungen eine viel zentralere Rolle etwa dafür, Ideen für das kommunale Gemeinwesen zu entwickeln und umzusetzen. Während Kommunalpolitik hier häufig phantasielos sei, hätten Freiwilligenagenturen mehr Gestaltungsfreiheit. Dieses „dicke Pfund“ werde noch viel zu wenig genutzt.
So sehr Dr. Serge Embacher diese Einrichtungen lobte, so wies er auf einen blinden Fleck hin. Oft werde nur auf das Verhältnis der Bürgergesellschaft zur Kommune und umgekehrt eingegangen – was den Umstand ausblende, dass kleine und mittlere Unternehmen ganz ähnliche Themen bewegten wie zivilgesellschaftliche Akteure, Stichwort Umwelt- und Klimaschutz. Wer davon ausgehe, es gebe da eben unterschiedliche Kulturen, mache es sich zu einfach. Strategische Kooperationen seien hier so notwendig wie möglich.
Einer Position, der sich Michael Schüring von der lagfa NRW e.V. in seinem Abschlussstatement anschloss. Außerdem machte er noch einmal deutlich, dass sich die Situation von Freiwilligenagenturen mit denen von Vereinen in vielen Aspekten auch ähnele und damit auch weiterhin ein wichtiges Thema für die lagfa NRW sei. Ein positives Resümee der Veranstaltung zog außerdem Stefan Rieker vom Paritätischen NRW: Es wird auch weiterhin, ob bei unseren Vereinsbegleitern oder den anderen Projekten und Ansätzen darum gehen, gemeinsam an den Bedarfen orientierte passende Lösungen zur Stärkung der Vereine vor Ort zu entwickeln.