16.07.2020

Teilhabe ermöglichen, auch in Pandemie-Zeiten: „55 Minuten mit… Adina Hermann” über die Lage von Menschen mit Behinderung

Das neue bagfa Digital-Format geht in die zweite Runde – diesmal zum Thema Inklusion

Foto: Melanie Wehnert, Sozialhelden e.V.

„Risikogruppe“ ist einer jener Begriffe, die Corona gängig gemacht hat. Oft wurden nur alte und vorerkrankte Menschen damit verbunden. Ein Kurzschluss, denn so gerieten die vielen auch jüngeren Menschen mit Behinderung aus dem Blick, für die das Virus nicht weniger gefährlich war.

Um ihre Lage wieder ins Bewusstsein zu bringen und um zu fragen, wie man freiwilliges Engagement dieser Gruppe ermöglichen kann, auch unter erschwerten Bedingungen, haben wir am 15. Juli in der neuen Reihe „55 Minuten mit…“ Adina Hermann zu einem Digital-Gespräch eingeladen. Als Head of Design, Projektleiterin und ehrenamtliche Vorständin der Sozialhelden e.V. kennt sie sich mit Barrieren ebenso aus wie mit Wegen zu mehr Teilhabe. Hier einige Antworten zu wichtigen Fragen:

Was bedeutet die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen für Menschen mit Behinderung?

Zunächst erfahren sie natürlich dieselben Probleme wie alle anderen, von der Einsamkeit durch Selbst-Quarantäne bis zu Zukunftsängsten. Dann gibt es viele Einschränkungen, die nur sie bzw. einzelne Gruppen betreffen. So waren etwa lange Zeit keine Informationen über das Virus in Gebärdensprache oder Leichter Sprache verfügbar. Wenn Beratung nur noch telefonisch stattfinde, seien etwa gehörlose Menschen ausgeschlossen. Werden Schutzmaßnahmen wie die Regel „Nur mit Einkaufswagen in den Supermarkt“ streng ausgelegt, blieben Menschen, die einen Rollstuhl nutzen müssen, außen vor. Und wer etwa Probleme mit der Atmung habe, könne nur bedingt eine Maske tragen.

Viele, die Pflege oder Assistenz haben, so berichtet Adina Hermann, mussten und müssen abwägen: Gehen sie das Risiko ein, sich dadurch anzustecken? Menschen, die in Pflege- oder Wohnheimen leben, haben diese Wahl erst gar nicht. Sie waren stark isoliert und erhielten häufig wenig Förderung.

Welche öffentliche Forderung in der Corona-Debatte ist besonders heikel für Menschen mit Behinderung?

Häufiger wurde vorgeschlagen: Risikogruppen sollten sich selbst schützen, sprich sich selbst isolieren. Dann müsse sich die Gesellschaft weniger einschränken. Bedeutet aber: Wer nicht Rücksicht nehmen will, schließt die aus, die Schutz brauchen – ein Ende der Teilhabe.

Wie steht es um das Engagement von Menschen mit Behinderung unter Corona-Bedingungen?

Es ist nur eingeschränkt möglich, wie bei anderen auch. Immerhin sorgen Videokonferenzen dafür, dass man weiterhin kommunizieren kann. Die Tools dazu, sagt Adina Hermann, seien allerdings etwa für gehörlose oder blinde Menschen nicht alle gleichermaßen barrierefrei.

Was ist ein ganz einfacher Weg, um Inklusion auch im Engagement leichter zu machen?

Informationen liefern! Viel ist laut Adina Hermann gewonnen, wenn für Menschen mit Behinderung klar ist, wie sie einen bestimmten Ort oder ein Angebot nutzen können: Sind Treppenstufen zu überwinden? Gibt es einen Aufzug? Wie ist die Akustik? Etc. Wichtig dabei: Diese Angaben finden sich direkt auf der Webseite oder einem Flyer, ohne dass man sich umständlich telefonisch erkundigen muss.

Was ist ein einfaches und kontaktloses Engagement, das Inklusion ermöglicht?

Man kann mithelfen, die Wheelmap-App zu füttern. Dieses Projekt der Sozialhelden sammelt Informationen darüber, wie gut zugänglich Cafés, Läden und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sind. Wie Freiwilligenagenturen Wheel-Map-Aktionen planen können, zeigt der bagfa-Leitfaden hier.

Was sind Adinas drei Wünsche an Freiwilligenagenturen?

  • Bitte mithelfen, segregierende Strukturen aufzubrechen, also Hürden abbauen, die Menschen trennen, damit sich die Vielfalt der Menschen überall wiederfinden kann.
  • Bitte mehr digitale und inklusive Engagementangebote machen.
  • Und alle relevanten Informationen auch zu Schutzmaßnahmen klar und barrierefrei kommunizieren, damit sich die Menschen sicher fühlen können.

Mehr Infos für mehr inklusives, barrierefreies Engagement auf der bagfa-Webseite hier.