15.10.2020

Neue Einsichten, klare Forderungen: Zwei Studien zur Lage der Zivilgesellschaft in der Corona-Pandemie

“Mut zu neuen Wegen” ist gefragt, und der Staat möge die Zivilgesellschaft nicht länger allein lassen: Das sind zwei Aufforderungen, mit denen Studien zur Lage der Zivilgesellschaft in der ersten Phase der Corona-Pandemie aufwarten. Angesichts steigender Infektionszahlen nicht weniger aktuell. Wir dokumentieren einige wesentliche Aussagen.

„Ein Rettungsschirm für die Zivilgesellschaft?“

Unter diesem Titel hat die Maecenata Stiftung ihre Erkenntnisse veröffentlicht. Die “explorative Studie zu Potenzialen, Bedarfen und Angeboten in und nach der COVID-19 Krise”, für die u.a. über 140 Behörden von Bund und Ländern zu möglichen Rettungsschirm-Angeboten „kontaktiert“ wurden, wurde „im Auftrag einer Arbeitsgruppe von acht zivilgesellschaftlichen Organisationen“ durchgeführt. Ihr Fazit, hier nachzulesen, klingt bitter:

„Während seit März 2020 der Wirtschaft vom Staat in großem Umfang Hilfe zugesichert wurde, ist die Zivilgesellschaft über weite Strecken in der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet und von den politisch Verantwortlichen alleingelassen worden.“

Die Einsichten fassen die Autor/innen unter anderem wie folgt zusammen:

  • Die bisherigen Hilfsangebote richteten sich „wenn überhaupt fast nur an die Organisationen, die mit Dienstleistungen die staatliche Gewährleistungspflicht umsetzen. Unabhängige Organisationen, die in der dringend notwendigen Gemeinschaftsbildung, als Wächter oder in der politischen Mitgestaltung unverzichtbare Aufgaben wahrnehmen, sind durch erschwerte Voraussetzungen überwiegend von allgemeinen Hilfsangeboten ausgeschlossen und haben – anders als in anderen Ländern – keinen spezifischen Rettungsschirm bekommen.“
  • „Bund und Länder honorieren nur ungenügend die Leistungen und Einsatzbereitschaft der Zivilgesellschaft. Eine Anerkennungs- und Wertschätzungskultur fehlt ebenso wie ein hinreichender Rettungsschirm. Vorhandene Angebote sind schwer zu ermitteln, nicht aufeinander und nicht auf die konkreten Bedarfe abgestimmt.“
  • „Gesundheitliche Risiken und Mehrbelastung erschweren ehrenamtliche Strukturen, die für zivilgesellschaftliche Organisationen elementar sind.“

Auch einen Ausblick wagt die Studie, der nicht weniger betrüblich ist:

  • „Die finanziellen Auswirkungen der Pandemie werden im kommenden Jahr voraussichtlich dramatisch sein. Es besteht die Sorge, dass Förderungen eingestellt oder reduziert werden und die Spendenbereitschaft rückläufig sein wird.“
  • Eine Konsequenz daraus lautet:
  • „Zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure verfügen über wertvolle Expertise und über andere Kapazitäten, um Krisen wie die Corona-Pandemie zu bewältigen. Deshalb ist es geboten, sie verstärkt in die Konzeptionierung von Maßnahmen zur Überwindung der Krise einzubeziehen.“

Zurechtfinden in der “neuen Normalität”

Auch gerade erschienen: das „Engagement-Barometer“ von ZiviZ im Stifterverband, hier einzusehen. 60 Interviews mit Fachkräften wurden im Juli und August geführt, um eine Bestandsaufnahme der Zivilgesellschaft in der ersten Phase der Corona-Pandemie zu ermöglichen. Die Förderung dazu kam von Regierungen von drei Bundesländern und einer Ehrenamtsstiftung. Die Autor/innen sehen die Zivilgesellschaft in eine ‚neue Normalität‘ „gedrängt“, die Anpassungen auf verschiedenen Ebenen verlangt:

„Bisherige Veranstaltungsformen, Arbeitsprozesse, Finanzierungswege u.a. sind beeinträchtigt und erfordern es, neue Wege zu erarbeiten, testen und etablieren.“

Auch die Autor/innen dieser Studie hoffen auf mehr und/oder weitere Unterstützung von Bund und Ländern. Denn bereits jetzt sei „deutlich, dass eine strukturelle Begleitung mittels anderer Förderkonzepte über die kommenden Monate notwendig sein wird“. Weitere „key findings“ lauten:

  • “15% der Befragten verzeichnen erste Mitgliederaustritte.”
  • “Soforthilfen von Bund & Ländern federn Einnahmeausfälle ab, sind für 38% der Befragten jedoch nicht ausreichend.”
  • “Schaffung verlässlicher IT-Ausstattung und digitalen Know-Hows unter Engagierten bleiben für 9 von 10 der Befragten die wichtigsten digitalen Herausforderungen.”
  • “Laut 70% muss ein zweites Hilfsprogramm in den kommenden Monaten aufgesetzt werden.“

Die Autor/innen geben auch Empfehlungen in Richtung Praxis und fassen diese so zusammen:

  • “Angst vor Antragstellungen v.a. unter kleinen und mittleren Organisationen nehmen und Kompetenzen in Verwaltungsarbeit stärken, bspw. durch peer-to-peer Learnings und Schulungen.”
  • “Gerade ältere Engagierte durch Patenschafts- oder Tandemformate u.a. mit jungen Engagierten vernetzen und digitalen Wissenstransfer ermöglichen.”
  • “Bereits jetzt sollten beteiligte Akteure gemeinsam Konzepte erarbeiten, wie trotz sinkender Einnahmen alternativ Beteiligungen möglich werden, z.B. durch reduzierte Mitgliedsbeiträge.”