Ein digitales bagfa-Arbeitsforum zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM-Institut).
Mit dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen Flucht von hunderttausenden Menschen sind die Themen Flucht und Asyl wieder – nach 2015/2016 – ins Zentrum der öffentlichen Debatte wie des Engagements gerückt. Im Mai hat die bagfa in Zusammenarbeit mit dem DeZIM-Institut Freiwilligenagenturen aus ganz Deutschland befragt, um die Entwicklungen des freiwilligen Engagements im Themenfeld Flucht und Asyl zu beleuchten.
Die hohe Beteiligung spricht Bände, wie sehr Flucht und Asyl die Freiwilligenagenturen im ganzen Land beschäftigen: Über 146 dieser Einrichtungen haben die Umfrage dazu beantwortet.
In diesem Arbeitsforum wurden den Freiwilligenagenturen nun die ersten Ergebnisse der Befragung vorgestellt, diese mit den Praxiserfahrungen aus den Agenturen verbunden, und gemeinsam die Wirkmöglichkeiten und Weiterentwicklungsoptionen von Freiwilligenagenturen im Feld diskutiert. Die Ergebnisse fassen wir hier zusammen.
Vorstellung der Befragungsergebnisse
Tobias Kemnitzer, Geschäftsführer der bagfa, begrüßte die Referent:innen und die Teilnehmenden. Mit der Veranstaltung sollte herausgearbeitet werden, wie wichtig das Themenfeld Flucht und Asyl für die Freiwilligenagenturen ist, wie sich das Engagement für Geflüchtete in den letzten Jahren entwickelt hat und welchen Einfluss der Ukrainekrieg aktuell hat. Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit die Agenturen in dem Themenfeld gut wirken können? Welche Forderungen gibt es, damit das Engagement nachhaltig unterstützt und gefördert werden kann?
Dr. Elias Steinhilper und Marina Seddig vom DeZIM-Institut ordneten das Engagement für Geflüchtete in Deutschland in den (zahlenmäßigen) Kontext ein, stellten anschließend das Projekt „Die aktivierte Zivilgesellschaft“ vor – in dessen Rahmen auch die hier vorgestellte Befragung entstanden ist – und präsentierten die wesentlichen Befunde der Organisationsbefragung der Freiwilligenagenturen.
Zentrale Befragungsergebnisse waren:
- In das Themenfeld Flucht und Asyl sind 28 Prozent der befragten Agenturen vor 2015, 62 Prozent in den Jahren 2015 & 2016 und 10 Prozent aktuell eingestiegen. Die Fluchtbewegung in 2015/2016 war ein Aktivierungsschub.
- Der Ukrainekrieg und die damit verbundene Flucht aus der Ukraine war für die Mehrheit der Agenturen ein Anlass, ihre Aktivitäten im Themenfeld auszuweiten und/oder neue Projekte anzustoßen.
- Die Agenturen wurden meist auf eigene Initiative im Themenfeld aktiv, aber auch Anfragen von Engagierten und Kommunen spielten bei der Aktivierung eine große Rolle.
- Die Agenturen sind vorrangig in den Bereichen Informieren und Beraten, Vermitteln und Koordinieren tätig. Die Tätigkeiten wurden durch die Fluchtmigration 2015/2016 ausgeweitet. Aktuell führen über 70 Prozent der befragten Agenturen eigene Projekte durch.
- Die Agenturen kooperieren am häufigsten mit Verbänden/Initiativen und Politik & Verwaltung. Die Qualität der Zusammenarbeit mit Verbänden/Initiativen wird durchweg als mehrheitlich positiv wahrgenommen, die Zusammenarbeit mit Politik & Verwaltung hat sich erkennbar verbessert von 2015 bis heute.
- 2015 als wichtiges Rückgrat: Eine große Mehrheit der Agenturen kann heute auf Netzwerke und Erfahrungen aufbauen, die 2015 entstanden sind. Der Unterschied zur aktuellen Situation seit dem Krieg in der Ukraine zeigt sich durch eine bessere Unterstützung seitens der Verwaltung und eine leichtere Zusammenarbeit mit migrantischen Selbstorganisationen.
- Durch die Tätigkeit im Themenfeld konnten neue Zielgruppen von Engagierten erreicht werden.
- Das Durchführen eigener Projekte in den Agenturen führte zu mehr neuen Kooperationen und war ein Teilhabemotor für Geflüchtete.
- Die größten Herausforderungen sehen die Agenturen in der Ungleichbehandlung zwischen den Geflüchtetengruppen, in fehlenden (personellen, finanziellen) Ressourcen, im Spannungsfeld von Aktionismus (schnelles und viel Engagement) vs. abnehmender Engagementbereitschaft und der Bemühung langfristiges Engagement zu etablieren, in Sprachbarrieren, im fehlenden/schwierigen Zugang zu Wohnraum, Kita- und Schulplätzen sowie Sprachkursen.
- Die Wünsche der Agenturen für eine nachhaltige Unterstützung sind vielfältig: Mehr Finanzmittel, mehr Personal, Mitarbeitende mit Flucht-/Migrationsgeschichte, Vereinfachung von Projektanträgen, Bürokratieabbau, mehrsprachige Formulare/Infomaterial in leichter Sprache, fachliche Qualifizierung zum Thema für die Mitarbeitenden in den Agenturen, mehr Kooperationen mit in diesem Themenfeld aktiven Akteuren; (bessere) Kooperation mit der Kommune; Kontinuität der bestehenden Netzwerke, Transparenz/Vermeidung von Doppelstrukturen, mehr Wertschätzung des freiwilligen Engagements aus der Politik (und auch aus der Zivilgesellschaft), und vor allem die Gleichbehandlung aller Geflüchteten.
Geschichten, Projekte und Krisenerfahrungen: Das Wirken von Freiwilligenagenturen vor Ort in der Geflüchtetenhilfe
Im Anschluss an die Vorstellung und Diskussion der Befragungsergebnisse haben Gabi Klein von der Kölner Freiwilligen Agentur e.V. und Elisabeth-Maria Bauer von der Freiwilligen Agentur Landshut aus der Praxis berichtet.
Die Kölner Freiwilligen Agentur ist bereits 2013 mit einem Mentor:innen-Projekt im Themenfeld gestartet und hat seitdem zwei weitere 1:1-Patenschaftsprojekte in ihr Programm aufgenommen. Zudem vermittelt sie über das Projekt Babellos ehrenamtliche Sprachmittler:innen. Über ein weiteres Projekt, das „Forum für Willkommenskultur“, vernetzt, qualifiziert und informiert sie Engagierte in der Geflüchtetenarbeit und platziert eigene Themen. In mehreren Projekten gibt es mit dem Kölner Flüchtlingsrat eine sehr gute Kooperation, auch die Zusammenarbeit mit der Kölner Verwaltung ist wechselseitig befruchtend. 2022 gab es zu Beginn des Krieges eine hohe Engagementbereitschaft, aber noch einen Mangel an Einsatzmöglichkeiten in der Ukrainehilfe. Die Kölner Freiwilligen Agentur nutzte das hohe Interesse, um in Angebote für und mit schon länger hier lebender Geflüchteten zu vermitteln.
Das Kölner Engagement schätzt Gabi Klein als politischer ein, als es in den Umfrageergebnissen ermittelt wurde. Gabi Klein betont abschließend, wie wichtig es sei, insbesondere nach zwei Pandemiejahren mit vielen digitalen Angeboten persönliche Treffen, auch ohne Tagesordnung, anzubieten.
Dr. Elisabeth-Maria Bauer schildert den Einstieg der Freiwilligenagentur Landshut ins Themenfeld im Jahr 2014 mit einem ersten Sprachtandemprojekt „Café Deutsch“. Bereits vor der Fluchtmigration 2015 wurde in Landshut ein kommunaler Runder Tisch Geflüchtetenhilfe eingerichtet und der Agentur die Rolle als Koordinierungsstelle übertragen. Dies führte zu Beginn durchaus zu einem Konkurrenzdenken seitens anderer Vereine vor Ort. Inzwischen kann die Agentur auf ein stabiles und gut funktionierendes Netzwerk vieler verschiedener Integrationshilfe-Akteure zurückgreifen, auch die Zusammenarbeit mit der Verwaltung funktioniert hervorragend.
Wie in anderen Städten stellen in Landshut mangelnder Wohnraum und fehlende Kita- und Schulplätze ebenfalls ein großes Problem dar. Vor diesem Hintergrund sei es schwieriger, für die ukrainischen Geflüchteten eine langfristige Perspektive aufzubauen. Sorge bereiten Elisabeth-Maria Bauer die etwas nachlassende Engagementbereitschaft und das europaweite Erstarken rechtsnationaler Kräfte, weil dies langfristig die Arbeit der Freiwilligenagenturen im Bereich Integration auf kommunaler Ebene negativ beeinflussen könnte. Bei politischer Lobbyarbeit der Freiwilligenagenturen ist aus ihrer Sicht aufgrund von Finanzierungen aus öffentlichen Mitteln ein diplomatisches Agieren angezeigt, um geförderte Stellen nicht zu gefährden.
Bezugnehmend auf die Befragungsergebnisse betont Elisabeth-Maria Bauer die große Bedeutung von Integrationshilfe-Projekten, die nicht nur zur Finanzierung der Agenturen beitragen, sondern auch entscheidend bewirken, dass Netzwerke ausgebaut und mehr Teilhabemöglichkeiten für Freiwillige – v.a. auch mit Fluchthintergrund – geschaffen werden können.
Gemeinsame Diskussion
In Kleingruppen hatten die Teilnehmer:innen Gelegenheit, die aus Köln und Landshut geschilderten Eindrücke und Entwicklungen mit ihren Erfahrungen abzugleichen. Die Teilnehmenden sammelten ihre Ideen zu den Ergebnissen auf einem virtuellen Padlet. Diese wurden im Anschluss im Plenum besprochen.
Einige Gedanken fassen wir hier zusammen:
- Im Gegensatz zur Studie bezeichnen die Agenturen in den Gesprächen ihre Tätigkeit im Themenfeld Flucht und Asyl stärker als politisches Handeln.
- Das politische Handeln wird klar auf die Engagierten bzw. das freiwillige Engagement bezogen und nicht auf die Zielgruppen dieses Engagements.
- Beim Mitzeichnen von politischen Stellungnahmen sollte eine thematische Schieflage (zu starker Fokus auf ein Thema) vermieden werden.
- Mitunter wird die bloße Existenz einer Freiwilligenagentur als politisch bewertet. Die Tätigkeit im Handlungsfeld Flucht und Asyl sei per se ein politischer Akt. Auch drücke sich das politische Handeln mitunter in Leitbildern aus. Explizite politische Stellungnahmen seien vor diesem Hintergrund nicht erforderlich.
- Die Agenturen betonen, dass politisches Handeln nicht identisch sei mit parteipolitischem Handeln.
- Im Themenfeld Flucht und Asyl Engagierte könnten als Multiplikatoren ihre Erfahrungen mit Geflüchteten weitertragen.
- Eine politische Haltung sollte auch bei kommunaler Förderung der Agentur möglich sein.
- Durch jahrelange Tätigkeit im Themenfeld konnten alte Kontakte und Netzwerke in der aktuellen Krise schnell reaktiviert werden, es konnte auf großes Erfahrungswissen zurückgegriffen werden.
- Freiwilligenagenturen sind in der Lage, in der Geflüchtetenhilfe nachhaltige Strukturen zu schaffen. Dafür brauche es einen langen Atem und professionelle Strukturen, die im Krisenfall schnell reagieren können.
Fazit
- Viele Befunde der Datenanalyse wurden durch die Schilderungen und Beiträge in der Veranstaltung bestätigt. Die Frage, ob die Agenturen sich mit ihrer Tätigkeit im Themenfeld Flucht und Asyl sich als politisch wahrnehmen wurde in der Diskussion stärker bejaht als in der Umfrage.
- Um noch mehr Wirkung entfalten zu können, braucht es mehr Gleichzeitigkeit von Engagementbereitschaft und Engagementangeboten, damit Engagement nicht ungenutzt bleibt.
- Die Agenturen nehmen hier die Funktion einer Schnittstelle/eines Scharniers zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung ein. Routinen haben sich etabliert.
- Im Themenfeld Flucht und Asyl sind nachhaltige Strukturen essenziell. Die Freiwilligenagenturen können diese nachhaltigen Strukturen mit ihren Kompetenzen ausfüllen, allerdings braucht es hierfür auch einen entsprechenden finanziellen Rahmen.
Die Ergebnisse des Arbeitsforums und der Umfrage werden in eine Analyse einfließen, die die bagfa gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM-Institut) noch in diesem Jahr veröffentlichen wird.