Die dritte Ausgabe des bagfa Digital-Formats schafft Orientierung in unübersichtlicher Lage
Wir sind zwar noch mittendrin, viele Auswirkungen der Corona-Pandemie kommen erst nach und nach ans Licht oder entfalten sich erst noch. Dennoch startete die bagfa einen Versuch, einen Überblick zu verschaffen. Dafür gibt es kaum eine bessere Adresse als ZiviZ im Stifterverband gGmbH, eine Einrichtung, die die „Zivilgesellschaft in Zahlen“ fasst und laut Selbstbeschreibung „datenbasiertes Orientierungs- und Trendwissen für die praktische Arbeit im Themenfeld Zivilgesellschaft“ liefert. Geschäftsführer Dr. Holger Krimmer stellte in unserem Digital-Format „55 Minuten“ unter anderem Ergebnisse seiner Studie dazu vor. Hier einige wichtige Punkte, auch aus der Diskussion.
Wie hat die Studie die Lage untersucht? Im späten Frühjahr wurden 50 Interviews mit Vertreter/innen der größten Engagementbereiche aus Verbänden, Infrastruktureinrichtungen etc. geführt. Noch im Mai wurde die Studie veröffentlicht, unter dem Titel „Lokal kreativ, finanziell unter Druck, digital herausgefordert: Die Lage des freiwilligen Engagements in der ersten Phase der Corona-Krise“ Eine zweite Befragung folgte im Sommer, die Ergebnisse dazu werden jedoch erst demnächst veröffentlicht, die bagfa wird in ihren Engagementnachrichten darauf hinweisen. Was sind zentrale Ergebnisse? Es entwickelte sich schnell ein „überbordendes spontanes informelles Engagement“, nach der Studie viel umfassender und auch kreativer als anlässlich der so genannten Flüchtlingskrise 2015. Dann gab es einen Digitalisierungsschub. Von einem Befragten als „kollektive Zumutung“ benannt, vermittelten einschlägige Tools aber auch nach kurzer Zeit erste Erfolgserlebnisse. Neue Entscheidungssituationen traten auf: Beachten wir den Datenschutz oder bleiben wir lieber arbeitsfähig? Viele entschieden sich für letztere Variante. Ein dritter Aspekt sind finanzielle Herausforderungen. Nach Einschätzung von Holger Krimmer sind hier die Lasten sehr ungleich verteilt – und vor allem kämen die finanziellen Corona-Konsequenzen erst zeitversetzt in der Zivilgesellschaft an. Unklar vorerst auch, wie stark eine potentielle Arbeitsmarktkrise das Engagement beeinträchtigen wird. Gibt es bislang Gewinner oder Verlierer bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren? Diese Aufteilung lehnte Holger Krimmer ab, sagte aber: Die Krise stößt Themenkonjunkturen an, die manchen mehr reinlaufen als anderen. Wer z. B. Digitalisierung schon in seiner DNA hat, steht gerade besser da. Dass sich jetzt aber flächendeckend digitale Formaten durchsetzen könnten, im Management wie im Engagement, müsse noch abgewartet werden, auch Rückfalleffekt in alte Strukturen könne man erwarten. Eine Teilnehmende befürchtet, dass viele Vereinsmitglieder ‚aussteigen‘, wenn Angebote über längere Zeit nicht stattfinden. Was beobachten Freiwilligenagenturen gerade? Eine kurze Umfrage unter den Teilnehmenden am Anfang ergab: Für die meisten sind die Folgen noch unklar, für das Engagement wie für die eigene Einrichtung. Ebenso offen waren die Beobachtungen und Einschätzungen aus Freiwilligenagenturen. Nach dem großen Zulauf am Anfang der Pandemie ebbte die Hilfsbereitschaft zuletzt ab, wobei eine Stimme meldete, viele Menschen in Kurzarbeit wollten gerade freiwillig etwas tun. Welche Gratwanderungen stehen bevor? Eine Teilnehmende verwies darauf, dass manche Formen des Engagements an Grenzen operieren müssen. Alten Menschen den Umgang mit Smartphones vermitteln – eine wichtige Aufgabe, mehr denn je! Aber wie dies schaffen unter Beibehaltung des Abstand-Gebotes? Und was, wenn die Pandemie bleibt, es keinen Impfstoff gibt oder ein anderes Virus auftritt? So lautete die Frage einer Teilnehmerin, die damit auch dazu aufrief, über die unmittelbare Situation hinaus zu denken und sich zu fragen: Wie kann persönliche Begegnung dann aussehen? Was kann Digitalisierung lösen, was nicht? Was lernen wir langfristig aus der jetzigen Situation? Dafür bräuchte es mehr gemeinsame Denk- und Rederäume. Sie warnte davor, so zu tun, als könnten wir ohne Weiteres in die alten Gewohnheiten und Muster wieder zurückkehren. Und was braucht die Zivilgesellschaft jetzt, zumal angesichts der Bundestagswahl 2021? Auch wenn noch nicht alle Folgen absehbar sind, sicher sei, so Holger Krimmer: Es braucht, wie schon seit Jahren gefordert, eine Stärkung der Infrastrukturen für Engagement. Überall gebe es Qualifizierungsbedarf, Expertise aufbauen sei nötig und am besten dezentral zu vermitteln durch Infrastruktureinrichtungen wie Freiwilligenagenturen. Dafür brauche es ein Bundesmodellprojekt, aber auch mehr Mittel für Soft- und Hardware. Und es braucht viele starke Stimmen für Engagement, auch die der bagfa und der Freiwilligenagenturen. In jedem Fall mehr als bislang in der Corona-Krise. Der Dialog auf der Bundesebene, mit der Zivilgesellschaft als Akteur und Partner auf Augenhöhe mit Staat und Wirtschaft, nicht als Bittsteller in der Not – das hat Holger Krimmer gefehlt. Was sind drei wichtige Zahlen über die deutsche Zivilgesellschaft? Ganz am Anfang stellten wir die Frage: Was sind unabhängig von Corona drei wichtige Ziffern? Holger Krimmers Antwort: · 53 Prozent der zivilgesellschaftlichen Organisationen haben ein Jahresbudget von unter 10.000 Euro. · Zehn Milliarden Euro groß ist das Spendenaufkommen in Deutschland. · 3,6 Millionen Menschen arbeiten im gemeinnützigen Sektor. |