21.12.2021

Einige Fortschritte, bleibende Leerstellen: 55 Minuten mit… Dr. Christopher Gohl

Der bagfa Digital-Talk über die engagierten Pläne des Ampel-Koalitionsvertrags

Dr. Christopher Gohl (Foto: Weltethos Institut)

„Mehr Fortschritt wagen“, so haben die neuen Regierungsparteien ihren Koalitionsvertrag überschrieben. Inwieweit gilt das auch für die Vorhaben in Sachen Zivilgesellschaft und Engagement? Das wollten wir in einem bagfa-Digitaltalk am 9. Dezember von Dr. Christopher Gohl genauer wissen. Der Politikwissenschaftler, der sonst am Weltethos-Institut in Tübingen u.a. zu Fragen der lernenden Demokratie forscht, war als ‚Nachrücker‘ von Mai bis September Mitglied des Deutschen Bundestags. Dort hat der FDP-Politiker sich nicht zuletzt mit der Organisation einer Anhörung einen Namen gemacht, die sich damit beschäftigte, ob und wie der Unterausschuss zu einem „Hauptausschuss Bürgerschaftliches Engagement und Demokratie“ aufgewertet werden sollte.

Was hatte er als MdB für einen Eindruck, welchen Stellenwert haben Zivilgesellschaft und Engagement bei den Parlamentarier:innen?

Er habe bei vielen Kolleg:innen gemerkt, wie sehr sie sich um die Zukunft der Demokratie sorgten – ohne dass sie sich jedoch konkret für Demokratiepolitik einsetzten. Hier habe er eine „Leerstelle“ gesehen und versucht die Perspektive einzubringen, Demokratie als Lebensform zu begreifen und Engagement als ein Teil dieser Lebensform. Gerade jetzt, da Demokratie unter Druck sei, müsse das bedacht werden. Insgesamt mache man aber frustrierende Erfahrungen, insofern Engagement- und Demokratieförderung „keine etablierten Politikfelder“ seien, alles andere als Mainstream, auch in der FDP. Im Unterausschuss seien die „Fach-, aber nicht die Machtpolitiker“ vertreten, was Auswirkung auf die Bedeutung habe. Das sei schade, schließlich hätten wir 30 Millionen Freiwillige, die einen Ort im hohen Haus verdient hätten, an dem über ihre Themen nachgedacht wird. Es werde auch in der neuen Legislatur keinen Hauptausschuss geben, entsprechend werde der Stellenwert des Engagements gering bleiben. Man sollte aber wenigstens den Unterausschuss mit einem neuen Namen aufwerten und ihn zu „Bürgerschaftliches Engagement und Demokratie“ verändern.

Viele in der Zivilgesellschaft waren „positiv überrascht“ über den Koalitionsvertrag. Er auch?

Dr. Christopher Gohl war sogar „begeistert“, denn an vielen Stellen setze die Koalition eine moderne, lebendige und wehrhafte Demokratie auf die Agenda, insgesamt mehr als er erwartet hatte. Aber er gibt sich skeptisch, was die Umsetzung anbelangt: Für die Größe der demokratie- und engagementpolitischen Aufgaben, die da aufgerufen werden, gebe es noch kein geeignetes Forum im Bundestag, in dem man sich darüber austauschen könne. Wie sollten dann aber entsprechende Konsultationsprozesse stattfinden? Diese Frage stelle sich auch, was den begrüßenswerten Ehrgeiz der Koalitionäre anbelangt, Zivilgesellschaft mehr und besser einzubinden.

Eine Engagementstrategie wird versprochen – mit Aussicht auf Erfolg?

In der Politik müsse man immer die positiven Ansätze sehen, aber auch mit Enttäuschungen rechnen. Deshalb reagiert Dr. Christopher Gohl verhalten zur Ankündigung einer Engagementstrategie, zu anspruchsvoll sei die Umsetzung. Außerdem sollen laut Vertrag Engagementstrategie und das Demokratiefördergesetz getrennt angegangen werden – obwohl beides doch zusammengehörte. Ihm zufolge könne man das zusammenfassen, in einem großen Demokratiestärkungsgesetz.

Und die Aussage zur Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt Im Koalitionsvertrag?

Für Christopher Gohl zum einen ein Bekenntnis zur Kontinuität der Stiftung und zum anderen eine Unterstützung des Ansatzes, Strukturpolitik für Engagement zu machen.  

Und das Vorhaben zum Demokratiefördergesetz?

Seinem Verständnis nach wurde das Demokratiefördergesetz geboren, um Extremismus und Radikalisierung zu bekämpfen. Damit sei es ein defensives Projekt. Dagegen bevorzuge er einen aktiven Ansatz, der viel umfassen könnte, was der Zivilgesellschaft das Wirken leichter macht, vom Bürokratieabbau über Digitalisierungsunterstützung. Im Koalitionsvertrag liest er hier noch ein „Sammelsurium an guten Absichten“.

Für viele Vorhaben braucht es Geld. Aber woher soll es kommen, wenn angesichts knapper Kassen gespart werden soll?

Für Gohl eine klassische Frage an die FDP, aber seine Partei sei längst dafür, sinnvoll zu investieren. Allerdings sei eine Frage, woher die Finanzmittel kommen sollen. Er habe dem Finanzminister empfohlen zu schauen, wie die Regierung privates Investitionsvermögen aktivieren kann. Wohlhabende Bürger:innen wollten in die Gesellschaft investieren, höre man überall. Deshalb habe er seiner Partei einige Wege vorgeschlagen, wie diese Ressourcen eingebracht werden können, etwa durch Investitionsfonds. Innovative Philanthropie biete noch ein großes Potenzial. Auch für Infrastrukturen der Engagementförderung sollten diese Finanzierungswege geöffnet wurden. Zwar noch nicht mehrheitsfähig in seiner Partei, würde er in jedem größeren Ort ‚Engagementhubs‘ einrichten wollen, die Fortbildung über bürgerschaftliche Arbeit anbieten. Engagement bräuchte in jedem Fall feste Orte, wo man sich treffen und weiterbilden könnte.

Und was sind Dr. Christopher Gohls drei Wünsche an Freiwilligenagenturen?
  • Bleiben Sie als bagfa ein verlässlicher und kluger Partner für die Politik, so wie die bagfa das bislang schon ist.
  • Machen Sie sich auch für Demokratiepolitik stark. Engagement ist wichtig, aber schauen Sie auch weiter auf die vielen Formen politischer Beteiligungsprozesse und unterstützen Sie sie.
  • Fangen Sie an, in Engagementhubs zu denken. Fordern Sie eine Entwicklung, in der Freiwilligenagenturen eine Professionalisierung der Zivilgesellschaft voranbringen können.