Wie mit den neuen Herausforderungen umgehen, inklusive der möglichen Überlastung? Diverse Hinweise für zivilgesellschaftliche Akteure
„Helfen hilft“: Für Dr. Rudi Piwko ist das alles andere als ein Spruch. Nein, er habe das selbst wieder gemerkt, als er sich auf das Gespräch im Rahmen des bagfa-Dialog-Forums am 28. März vorbereitete. Denn man bewege sich weg von der passiven Rezeption schwieriger Informationen und trostloser Bilder – und bewege sich hin zum konkreten Tun, das die Hilflosigkeit banne.
Wir hatten Dr. Rudi Piwko eingeladen, um zwei Situationen zu besprechen, die die gemeinsame Klammer hatten: Zivilgesellschaften stehen unter Druck – in Russland, um Putin aufzuhalten, aber auch in Deutschland, in Freiwilligenagenturen, wo neue Krisen neue Aufgaben bedeuten, mitunter nur zu bewältigen jenseits der Leistungsfähigkeit.
Als Gründer von Deutsch-Russischer Austausch e.V. wie als Organisationsberater im gemeinnützigen Sektor, über zwei Jahrzehnte bei SOCIUS gGmbH, konnte Dr. Rudi Piwko hier Wegweisendes einbringen. Hier einige seiner Antworten.
Was kann man als deutsche Zivilgesellschaft tun, um die russische zu unterstützen?
Große neue Kooperationen zwischen Organisationen aufzubauen, dafür sei jetzt nicht die Zeit, sagt Dr. Rudi Piwko. Am aussichtsreichsten hält er: Leute ansprechen, die man schon kennt, die selbst Kontakte nach Russland haben. Alles ginge nur über persönliche Kontakte.
Überhaupt sei es die Zeit, darüber neue Strukturen aufzubauen. Bei Strukturen dächten wir oft an Organisationen, doch jetzt brauche es, wie in alten Sovjetzeiten, „dissidente“ Strukturen, vertrauensvolle Verbundenheiten jenseits formaler Verfasstheit. In Russland sei das längst wieder Praxis geworden. Das sei das Positive an der allerorten beschriebenen Zeitenwende: Man besinnt sich auf die Bedeutung personaler Verbundenheit.
Was hilft, um Menschen in Russland oder Russischstämmige in Deutschland für Frieden zu mobilisieren?
Sind Kontakte aktiviert, egal wo, dann auf die eigene Rolle achten, rät Rudi Piwko. Nicht als Fordernder auftreten, sondern besser als Fragender. Wenn man etwa russische Vereine, Initiativen in Deutschland anspricht, dann darauf achten, sich erst einmal fragend die Weltsicht des Gegenübers zu erschließen und zu reflektieren: Wie weit bin ich auf der Frageseite? Dialog sei gefordert, nicht Abgrenzung, nicht die Reproduktion der politisch aufgebauten Feindschaften.
Woran erkennt man, wie überlastet eine Organisation schon ist? Woran erkennt man, dass man im roten Bereich ist?
Alarmsignale seien Anstieg von Konflikten, Passivität, Rückzug, Krankheit – und der Zustand, wenn Dinge, die man macht, unlogisch erscheinen und Bedarf und Handlung nicht mehr zusammenpassen.
Wichtig sei zu fragen: Ist die Überlastung graduell gewachsen oder plötzlich gekommen? Ansatzpunkt für Korrektur bilde immer die Frage: Was an Aktivitäten können wir weglassen, was ist in der Krise überflüssig zu tun? Krise sei ein Momentum, verlange also, Entscheidungen über Prioritäten zu treffen.
Ebenso zentral für Teams, das „Ich-Du-Wir“ zu beachten: Wie geht jede:r Einzelne mit der Situation um – und wie gehen wir als Team, als Gemeinschaft damit um?
Zum Druck auf deutsche engagementfördernde Einrichtungen und ihrer Dauerbelastung: erst Corona, jetzt Krieg, riesige Hilfsbereitschaft, neue zusätzliche Aufgaben bei oft gleicher Ausstattung. Eine Umfrage unter den 25 Teilnehmenden ergibt:
Mit ihrer Arbeitsbelastung sehen sich
- 17% im roten Bereich
- 57% im dunkelgelben Bereich
- 22% im gelben Bereich
- 4% im grünen Bereich
Was ist für die Mitarbeiter:innen in Führungsverantwortung besonders wichtig zu beachten?
Wer Verantwortung für andere trage, sagt Rudi Piwko, stehe in besonderer Verantwortung, sich selbst zu reflektieren. Gretchenfrage hierbei: Kann ich noch Fragen stellen oder sollen die anderen einfach nur meine Ideen umsetzen? Letzteres gilt als Warnsignal, günstiger als das „Führen mit Anweisungen“ sei das „Führen mit Fragen“.
Was sollte man in überlasteten Situationen besser auf keinen Fall machen?
Hier sagt Rudi Piwko, gerade auch im Blick auf die aktuelle Situation: Fangt jetzt nicht etwas völlig Neues an! Tut lieber etwas, was ihr bisher schon gemacht habt, passt es allenfalls an. Frei nach dem Motto: „Neuer Wein, ja, aber jetzt nicht die Schläuche wechseln“. Priorisieren und sich nicht im Hamsterrad totrennen.
Aus der Diskussion
Auf Bewährtes zurückgreifen: Dieser Hinweis von Rudi Piwko wird in einigen Freiwilligenagenturen schon beherzigt, indem man etwa auf Datenbanken mit Freiwilligen aus Coronazeiten zurückgreift, danach schaut, wie auch in „klassischer Vermittlungsarbeit“ Bedarfe zusammenzubringen sind. Klar sei aber auch, es brauche Personalaufstockung, um den neuen zusätzlichen Anforderungen gerecht zu werden.