29.04.2024

Zu Besuch bei der ältesten Freiwilligenagentur in Deutschland: TATENDRANG in München

Draußen ist es ungewöhnlich kalt und regnerisch, aber die großzügigen, hellen Räume der Freiwilligenagentur TATENDRANG nah der Münchner Innenstadt wirken direkt einladend. Gegenüber der Eingangstür ist der Empfangsraum, wo – wie wir lernen – jede der Mitarbeiterinnen auch mal den „Telefondienst“ übernimmt. In einer offenen Küche treffen wir einen Teil des Teams zum Mittagessen und es wird direkt klar: Die Freiwilligenagentur ist nah am Herzen der vielfältigen Großstadt und ihren Herausforderungen. Denn dass TATENDRANG heute diese großzügigen Räumlichkeiten mit zwei Beratungsräumen, hellen Büros, einem Konferenz- und Workshopraum und einem Materiallager ausfüllen kann, ist aus der Not entstanden: Der alte Standort wird heute luxussaniert.

Herausforderungen der Großstadt

In einer Stadt wie München, mit steigenden Mieten und hohen Zuzugsraten spiegeln sich die Herausforderungen auch in der Arbeit der Freiwilligenagentur wider: Immer mehr Menschen sind von Armut betroffen und können es sich schlicht nicht leisten, ein Engagement oder Ehrenamt ohne Aufwandsentschädigung durchzuführen. Auch der Fachkräftemangel in den sozialen Einrichtungen erschwert Engagement, da viele Organisationen und Kooperationspartner die Betreuung der Freiwilligen schlicht nicht (mehr) leisten können. Gleichzeitig gibt es einen dauerhaft steigenden Bedarf an ehrenamtlicher Unterstützung im Bildungsbereich, u.a. durch die hohe Zahl an Geflüchteten, die in München angekommen sind.

v.l.n.r.: Renate Volk, Ute Bujara, Sibyl Stangl, Maria Dillschnitter von TATENDRANG München

Trotz dieser mannigfaltigen Herausforderungen wird im Gespräch schnell klar: Das Team von TATENDRANG stellt sich auch den Unwägbarkeiten voller Elan und Innovationskraft. Die Kolleginnen strahlen Begeisterung und Empathie aus und sind durch das seit vier Jahren komplett hauptamtliche Beratungsteam sehr nah an den Freiwilligen dran. Mit einem weiteren Kniff wird sichergestellt, dass alle Vorhaben und Konzepte gezielt an den Bedarfen der städtischen Zivilgesellschaft geplant werden, denn die Kolleginnen haben sich die Betreuung der 375 kooperierenden Organisationen untereinander aufgeteilt. So wird „Projektsilos“ vorgebeugt und es ist leichter, gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Strukturell ist das durch eine zuverlässige städtische Finanzierung möglich und einen Trägerverein, der die Verwaltungsaufgaben übernimmt.

Die Stadt als Impulsgeberin

Zwei Stadträtinnen hatten Ende der 70er Jahre eine Reise nach Edinburgh unternommen und die dortigen Volunteer Büros kennengelernt. Schnell war klar: So etwas braucht München auch. Nach einem Stadtratsbeschluss von 1979 wurde 1980 die erste Freiwilligenagentur in Deutschland gegründet, unter dem Namen „Münchner Helferinformation“. Zum 20-jährigen Jubiläum gab es als Geschenk einer lokalen Kreativagentur einen neuen Namen: TATENDRANG war geboren. Heute schmücken die Projektplakate der Freiwilligenagentur regelmäßig den öffentlichen Raum, wie beispielsweise letzten Sommer, wo das Projekt Freizeit hoch2 mit einer Kampagne auf Bussen und Litfaßsäulen Münchner:innen für Inklusion begeisterte.

Plakate aus dem Projekt “Freizeit hoch2”
Hier werden Freiwillige beraten

Die Freiwilligen bei TATENDRANG spiegeln die Münchner Stadtgesellschaft wider: Neben aktiven Ruheständler:innen kommen viele junge Menschen. Eine passende Engagementmöglichkeit zu finden, ist dabei manchmal gar nicht so einfach, weil viele Engagementangebote deutsche Sprachkenntnisse voraussetzen. Auf die Nachfrage nach kurzfristigen und flexiblen Engagementmöglichkeiten hat die Freiwilligenagentur schon vor 8 Jahren reagiert: Im Projekt What‘s to do? werden flexible Engagementmöglichkeiten in einer WhatsApp-Gruppe geteilt, die jedes Jahr neu gestartet wird und bis zum Ende des Jahres mehr als 600 Aktive und Interessierte versammelt. Mit rund 1.200 Engagementangeboten im Portfolio der Freiwilligenagentur findet sich fast für alle eine passende Möglichkeit, sich einzubringen.

„Synergien nutzen“ – nicht nur eine Floskel

Aber auch im digitalen Raum ist die Freiwilligenagentur aktiv: Im Projekt Online Gutes tun der bagfa ist im letzten Jahr der Funke für digitales Engagement übergesprungen und in diesem Jahr geht es direkt mit Digital engagiert! weiter. Hier berät die Freiwilligenagentur sowohl digital Engagierte als auch Organisationen, die gern digitale Engagementmöglichkeiten anbieten wollen. Im Programm „100x digital“ der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) steht dieses Jahr LinkedIn auf dem Plan: Wie kann man das berufliche soziale Netzwerk am besten für die Engagementförderung nutzen?

Dabei kann die Agentur auf langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Unternehmen zurückblicken: In den Formaten Marktplatz der Guten Geschäfte können Mitarbeiter:innen engagierter Firmen das passende Engagement „erhandeln“. Die alle zwei Jahre stattfindende IHK-Nachtschicht ist ein besonderes Highlight, denn hier gibt es nicht nur zufriedene Freiwillige, sondern auch das begeisterte Feedback der Organisationen kommt direkt bei der Freiwilligenagentur an. Gut vernetzt in der vielfältigen Münchner Zivilgesellschaft finden sich gemeinsam gute Lösungen. Die zwölf Kolleginnen arbeiten mit Stundenkontingenten von 14 bis 35 Wochenstunden in der Freiwilligenagentur und auch wenn ein großer Anteil der Kosten durch die städtische Regelfinanzierung gedeckt ist, gibt es immer wieder Baustellen, denen man sich gern intensiver widmen würde, wie beispielsweise das Engagement von Menschen mit psychischen Erkrankungen.

Neu ist, dass sich die Münchner Freiwilligenagenturen angesichts der aktuellen Lage zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam für das Thema Demokratieförderung zu engagieren.

Wer tiefer in die Welt der Engagierten rund um die Freiwilligenagentur eintauchen möchte, findet in den Ehrenamtsgeschichten spannende Porträts von Freiwilligen. Das 12-köpfige Redaktionsteam interviewt Aktive zu ihren Einsatzfeldern, fotografiert, erarbeitet Artikel und pflegt Social Media – alles ehrenamtlich selbstverständlich!

Bei einer mehr als 40-jährigen Geschichte gäbe es natürlich noch sehr viel mehr zu erzählen, aber es ist schließlich Freitagnachmittag und es wird unruhig im Eingangsbereich, weil die ersten Teilnehmer:innen für eine Schulung der Lernpatenakademie ankommen, einem Fortbildungsangebot für Freiwillige im schulnahen Bereich. Also sagen wir Tschüss und bis zum nächsten Mal!

Alles bereit für die Schulung der Lernpatenakademie

TATENDRANG München im Überblick:

  • Gründungsjahr: 1980
  • bagfa-Mitglied seit: 1999
  • Das bedeutet Engagement für euch:
    Unsere Vision ist, allen Menschen, die helfen wollen, etwas für sie Passendes anzubieten. Und alle Menschen, die Unterstützung benötigen, sollen sie bekommen können.
  • Das zeichnet eure Freiwilligenagentur aus:
    Offenheit, Kreativität, Herzlichkeit, Lust auf Neues, hohe Beratungskompetenz
  • In dieses Engagementfeld vermittelt ihr besonders:
    Inklusion/Teilhabe, Bildungsförderung
  • Auf welches eurer Projekte seid ihr besonders stolz:
    Whats to do? Freiwilliges Engagement über WhatsApp
  • Eurer einprägsamster Lernmoment:
    Die erste Woche im Corona-Lockdown
  • Eure (Glück-)Wünsche für die bagfa:
    Herzlichen Glückwunsch zu 25 Jahren Einsatz für das Thema Ehrenamt und uns Freiwilligenagenturen. Ihr seid einer unserer wichtigsten Wegbereiter und -begleiter. Bleibt wie ihr seid: innovativ, kompetent, zugewandt, offen, unterstützend, wertschätzend, humorvoll und mutig