09.05.2022

Engagement erfolgreich, Freiwillige quicklebendig!? 55 Minuten mit… Katja Jäger

Rückblick auf ein bagfa-Digitalgespräch über ganzheitliches Verständnis von Engagement u.a.

Katja Jäger, betterplace lab

„Operation erfolgreich, Patient tot“: So geht ein geflügeltes Wort über die Schattenseiten der Schulmedizin. Umso beliebter sind ganzheitliche Ansätze, die alle Aspekte des Menschen mitbedenken. Braucht es so etwas auch für freiwilliges Engagement? Schauen wir da auch manchmal zu kurz? In gewisser Weise ja, sagt Katja Jäger von betterplace lab. In unserem Digitaltalk am 5. Mai stellte die Kommunikationswissenschaftlerin ein holistisches Verständnis von Engagement vor und führte aus, welchen praktischen Wert das hat. Außerdem ging es um digitales Engagement und aus traurigem Anlass des Angriffskriegs in der Ukraine auch um dieses in der Geflüchtetenhilfe. Hier einige Aussagen knapp zusammengefasst.

Wandel im Engagement und Engagement im Wandel“ – so heißt ein Impulspapier, entwickelt von Katja Jäger im Rahmen einer Kampagne zur Europäischen Freiwilligenhauptstadt Berlin 2021. Darin wird die Idee eines holistischen Verständnisses von freiwilligem Engagement ausgearbeitet. Wie kam sie darauf, was fehlte?

Ausgangspunkt war zu realisieren, dass wie alles auch die Erfahrung persönlichen Engagements nicht im luftleeren Raum steht, sondern mit den Zuständen um einen herum zusammenhängt. Angestoßen wurde die Idee auch in der Auseinandersetzung mit Harmut Rosas Konzept der Resonanz, das behauptet: Menschen leiden, wenn Umwelt und Mitmenschen stumm bleiben zu den Fragen, die einen beschäftigen.

Und wie ist das holistische Konzept des freiwilligen Engagements aufgebaut?

Es betrachtet unterschiedliche Aspekte des Innens/ individuellen Erlebens Einzelner und des Außens/ der sozial gestalteten Umwelt, entlang der vier Quadranten „Haltung und Psyche“, „Verhalten und Fähigkeiten“ (= individuell) und „Kultur und Kommunikation“ und „Strukturen und Prozesse“ (= sozial). Klingt komplex? Ja, erschließt sich aber, wer es etwas durchdenkt.

Und was folgt praktisch aus diesem Konzept?

Vieles. Es bietet Perspektiven, mit den man Missstände diagnostizieren und Richtungen anpeilen kann, wie es besser gehen könnte. Ein Beispiel, das Katja Jäger nennt: In ihren Interviews wurde deutlich, wie wichtig Engagierten ist, Werte zu leben. Ein Bedürfnis, das jedoch organisatorisch im Alltag oft wenig bedient werde, trotz der enormen Bedeutung. Bei betterplace rede man daher regelmäßig, wie und wo Werte umgesetzt werden.

Ein anderes Beispiel: Dass es essentiell für Engagierte ist, sich als selbstwirksam und kompetent zu erfahren – und aus der empfundenen Ohnmacht heraus ins Handeln zu kommen -, ist allen klar. Im Alltag jedoch landen Engagierte zuweilen in Rollen, in denen sie unsicher sind und bleiben. Daher sei immer zu schauen: Sind alle Freiwilligen auch am richtigen Platz?

Gesammelte „Tipps für Organisationen“ finden sich in der Publikation auf den letzten Seiten.

Und was sagen die Freiwilligenagentursmitarbeiter:innen dazu?

„Sehr tolles Konzept und super Tipps, die ich gerne weiterleite“, schrieb eine Kollegin. Lässt sich gut in das eigene Freiwilligenmanagement einbinden, sagte eine andere. Zugleich wurde darauf hingewiesen: Hängt aber alles auch von der personellen Ausstattung ab. Wer wenig Ressourcen hat, meinte Katja Jäger, könne aber dennoch kurz analysieren, wo stehen wir, und Prozesse beobachten und reflektieren. So banal wie bedeutsam bleibe die Frage, wie es den Engagierten eigentlich geht. Und es helfe nichts, von außen etwas überzustülpen: In jeder Organisation gebe es spezifische Voraussetzungen, die zu berücksichtigen sind.

Und was wäre aus Sicht des Konzepts wichtig zu beherzigen, wenn es um die Hunderttausenden geht, die sich gerade neu für Ukrainer:innen engagieren und oft in belastende Situationen geraten?

Unbedingt die Dimension nach innen beachten: Wie überfordert fühlen sich die Engagierten? Dafür Räume schaffen, um all dies ausdrücken zu können. Für frühzeitige Weichenstellungen sorgen: Es kann nur gut sein, wenn es langfristig gut laufen kann. Geflüchtetenhilfe sei kein Sprint, sondern ein Marathon, was man beim Laufen berücksichtigen müsse.

betterplace hat auch eigene Unterstützungsangebote für Engagierte im Kontext der Geflüchteten-Integration (siehe hier). Was ist ihnen hierbei besonders wichtig?

Sie wollen etwas zum „Wellbeing“ von Engagierten beitragen. Klingt nach Erholung am Wochenende, soll aber zivilgesellschaftliche Akteure dabei unterstützen, sich bei allem Engagement immer wohl fühlen zu können. Und das gelingt besonders, wenn man Ambiguitätstoleranz entwickelt, also die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten. Die ist immer (mehr) gefragt, entwickelt sich aber nicht von heute auf morgen. Es beginnt mit der Einsicht und der Akzeptanz, nicht das große Ganze lösen zu können.

Was es alles an digitalen Unterstützungsangebote in der Geflüchteten-Hilfe gibt, das hat betterplace lab recherchiert. Hier findet sich der Überblick. Hat sich etwas verändert, verglichen mit den digitalen Unterstützungsangeboten, die es 2015/2016 gab?

Einfach mal loslegen: Wer etwas machen wollte, hat wenig nach links und rechts geschaut. Inzwischen sei vielen Akteuren mehr bewusst, wie wichtig es ist, gemeinsam zu denken. Es gebe einen stärkeren Fokus auf nachhaltige und damit resilientere Strukturen, auch angesichts des gewachsenen Bewusstseins, dass alles später nochmal gebraucht werde. Das sei auch ein Grund von vielen, wieso es eine Zusammenarbeit mit dem Staat braucht.