Das siebte bagfa-Digital-Gespräch zu den Einsichten eines Migrationsexperten über Hürden und Wege zu mehr Diversität auch in der Zivilgesellschaft
Das gibt es nicht oft, dass jemand, der viele Jahre Referent im Bundeskanzleramt war, danach einen Verein für eine „plurale Republik“ gründet – und dann auch noch über zehn Jahre lang dessen Vorsitzender bleibt. Wir haben Farhad Dilmaghani eingeladen, über seine Erfahrungen mit DeutschPlus e.V. zu erzählen, über Wege zu Vielfalt und Miteinander zu berichten und wie man auch in der Zivilgesellschaft diverser macht. Hier einige Einsichten aus dem am 3. März geführten Gespräch mit dem Politikwissenschaftler, der im Hauptberuf Vorstandsbevollmächtigter der gemeinnützigen Phineo AG ist.
Was hat Farhad Dilmaghani dazu bewogen, zusammen mit Prof. Naika Foroutan den Verein DeutschPlus e.V. zu gründen?
Thilo Sarrazins Thesen etwa zur angeblichen genetischen Schwäche von Zuwanderergruppen haben den Ausschlag geben, denn die Debatte dazu war ein Alarmsignal für eine Diskursverschiebung nach rechts.
Der Name DeutschPlus sollte zeigen: Die Gründer:innen verstehen sich als deutsche Staatsbürger:innen – und ein Plus hat jede:r. Vor allem aber begreifen sie Identität nicht als etwas eindimensionales – haben wir doch alle mehrere unterschiedliche Selbstverständnisse und Zugehörigkeiten.
Und was hat sich seither getan?
Was Aufstiegschancen von Menschen mit Migrationsgeschichte anbelangt, nicht viel, sagt Farhad Dilmaghani. Dafür gebe es aber mehr Debatten, seit Diskriminierung und Hass durch Morde in Kassel, Halle, Hanau und durch die Black Lives Matter auf die Agenda kamen. Trotzdem werde eher in Wellenbewegungen über rassistische Ausgrenzung gesprochen.
Zu bedenken gibt er, dass sich die verschiedenen Generationen dabei unterscheiden. Die junge Generation sei ganz anders sensibilisiert. Integration sei im Übrigen nicht das angemessene Dach für eine Diskussion: Wo hinein sollten sich denn Menschen, die in Deutschland geboren sind, integrieren?
Was sind Schwierigkeiten im Umgang mit Begriffen wie zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund?
Wie sich Menschen selbst bezeichnen, so Farhad Dilmaghani, sollte im Vordergrund stehen. Wenn Gruppen bestimmte Begriffe für sich nutzen, heißt das noch nicht, dass andere diese zur Fremdbezeichnung einsetzen können.
Die Formulierung „Menschen mit Migrationshintergrund“ könne tatsächlich stigmatisierend sein, wenn der Begriff als gleichbedeutend mit Defiziten verwendet wird. Andererseits habe er seine Berechtigung, wenn eine Gruppe strukturell benachteiligt wird und Maßnahmen dagegen legitimiert werden müssen.
Diversität wollen alle haben, aber oft bei sich selbst nicht umsetzen. Was sind die Erfahrungen von DeutschPlus e.V., der dazu viel zivilgesellschaftliche Organisationen beraten hat?
Der Diagnose stimmt er zu, in vielen Organisationen ist Diversität der Mitarbeitenden noch wenig entwickelt, auch bei solchen, bei denen man das gar nicht erwarte. Oft werde es eher als ein „nice to have“ denn als Kernthema angesehen. Dass man abgeschreckt ist, sich darauf einzulassen, sei gut zu erklären: Ein Infragestellen des Gewohnten ginge damit einher, es sei ein Change-Prozess erforderlich, der lang dauere und Ressourcen koste und Verteilungskonflikte auslösen könnte. Selbst bei Bundes-Institutionen verlaufe die Umsetzung schleppend.
Was folgt aus diesem ‚Rückstand‘ in Sachen Diversität?
Einfach nur auf Kampagnen und Freiwilligkeit zu setzen reiche nicht, so Farhad Dilmaghani, zumindest hat dieser Ansatz bislang wenig bewegt. Deshalb fordert er gesetzliche Verpflichtungen. Auch brauche es, wie er neulich in einem Spiegel-Interview vorschlug, ein Ministerium für gesellschaftlichen Zusammenhalt, um u.a Diversität mehr als bisher zu verankern. Bürgerschaftliches Engagement würde dabei eine zentrale Rolle spielen, denn Engagement sei für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unerlässlich.
Wie kann man mehr Diversität in der eigenen Organisation leben und anderen nahelegen?
Dazu empfiehlt Farhad Dilmaghani unter anderem:
- Den Dialog mit Migrant:innen-Organisationen und neuen deutschen Organisationen suchen und mit ihnen zusammenarbeiten.
- Den Vielfaltscheck und die Leitfragen dabei berücksichtigen, wie ihn beispielsweise DeutschPlus e.V. vorgestellt hat.
- Mit gutem Beispiel vorangehen, Werte vorleben und Diversität auf verschiedenen Ebenen aufzeigen.
Bei allem sollte es nicht zu akademisch werden.
Was sind seine drei Wünsche an Freiwilligenagenturen?
Zunächst mal solle man eine interne Definition erarbeiten, was Diversität und Anti-Rassismus im eigenen Kontext bedeuten kann und soll.
Dann wünscht sich Farhad Dilmaghani, ausgewählte Freiwilligenagenturen mögen gemeinsam eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung anstoßen und die Erkenntnisse daraus später allen Agenturen zu Verfügung stellen.
Darüber hinaus wäre gut, wenn Freiwilligenagenturen – Multiplikatorinnen, die sie sind – ihrerseits für Diversitätsorientierung Lobbying machen.