Eine knappe Stunde zu Rassismus, Scheinerfolgen und was zivilgesellschaftliche Akteure dagegen tun können
Wer zuletzt die Medien verfolgte, könnte meinen, Rassismus sei ein neues Thema. Das muss Elisabeth Kaneza ebenso bestreiten wie die Auffassung, wenn niemand mehr offen diskriminiert wird, sei das Thema erledigt. Einschlägige Aktivist/innen wie sie mit ihrer Stiftung arbeiten seit Langem daran, ein Problembewusstsein zu schaffen und Gegenmaßnahmen zu fordern. Beim neuen digitalen bagfa-Gesprächsformat „55 Minuten mit…“ zeigte die Juristin Anfang Juli, was unter Rassismus zu verstehen ist, wie man ihm begegnet – und was sie sich von NGOs wie Freiwilligenagenturen wünscht.
Elisabeth Kaneza ist Menschenrechtlerin, Politologin und Vorsitzende der Kaneza Foundation for Dialogue and Empowerment e.V. Sie ist zudem Themenpatin für junges Engagement im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement und promoviert aktuell an der juristischen Fakultät der Universität Potsdam, wo sie zu strukturellem Rassismus und der rechtlichen Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland forscht (mehr zu ihrer Forschung hier).
Wieso sollte man sich von ihrem persönlichen Erfolg nicht blenden lassen?
Stiftungsgründerin, Menschenrechtlerin, Politologin: Elisabeth Kaneza hat Karriere gemacht. Daraus könnte man ableiten: Man kann es – auch als Schwarze Frau – zu etwas bringen, wenn man denn will. Ein gefährlicher Fehlschluss, sagt sie. Denn auch sie erfährt Diskriminierung, bis heute. Und ebenso brauche sie Empowerment. Der tückische Zusammenhang: Je größer der Integrationserfolg, desto weniger einfach könne man von immer noch vorkommender Diskriminierung sprechen und umso weniger werde diese wahr- und ernstgenommen.
Was beinhaltet Rassismus?
Immer geht er von einer Hierarchie von Gruppen aus. Wer vermeintlich minderwertiger ist, wird an äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe festgemacht. So kommt es zu dem Schluss: Wenn jemand schwarz ist, ist er so oder so.
Insoweit ist Rassismus eine Ideologie, ein Konzept, das die Überlegenheit einzelner Gruppen ableiten will. Davon laut Elisabeth Kaneza zu unterscheiden: Rassismus als System. Hier hat sich die Ideologie in soziale Strukturen eingelagert. Die Überzeugung gehört zum Alltag und wird weder gesehen noch befragt.
Was sind dann anti-rassistische Maßnahmen?
Im Verständnis von Elisabeth Kaneza umfassen sie mehr, als üblicherweise diskutiert wird. Es genügt nicht allein, ab jetzt alle Menschen gleich zu behandeln. Die vorangegangene Abwertung hatte soziale Ungleichheit zur Folge, was mit geringeren Startchancen etwa für Schwarze Menschen verbunden ist. Um dies auszugleichen und Gerechtigkeit zu schaffen, braucht es besondere Fördermaßnahmen für einzelne Gruppen.
Reicht es nicht, sich einfach nicht-rassistisch zu verhalten?
Hier zitiert der Input eine Aktivistin namens Angela Davis mit einem Satz, auf den kürzlich auch der Bundespräsident und bagfa-Schirmherr Frank Walter Steinmeier hingewiesen hatte:
„In a racist society it is not enough to be non-racist, we must be anti-racist.“
Warum? Siehe oben.
Was kann man als Freiwilligenagentur oder zivilgesellschaftliche Organisation tun?
Rassismus bildet sich immer auch in sozialen Strukturen ab. In der Engagement-Landschaft fällt Elisabeth Kaneza auf: Bei den Selbstorganisationen gibt es kaum Hauptamtliche und weniger Ressourcen. Eine Benachteiligung, die andere NGOs ausgleichen können, indem sie Selbstorganisationen unterstützen, Räume zur Verfügung stellen etc. Im fachlichen Diskurs nennt man das „Allyship“, die dazugehörige Leitorientierung „sharing of power“. Immer gelte es, proaktiv zu schauen, welche Akteure man in der eigenen Stadt fördern kann.
Wichtig ebenso: Wie sind die entsprechenden Gruppen in Vereinen etc. repräsentiert? Sind Freiwillige und Hauptamtliche aller Couleur vertreten? Weil das oft nicht der Fall ist, wünscht Elisabeth Kaneza, man möge mehr Menschen, die Diskriminierungserfahrung haben, ins Engagement bringen, nicht zuletzt junge.
Und um die Reflexion des eigenen Weißseins und damit verbundener Machtpositionen kommt man nicht drum herum. Auch nicht um die Frage, ob oder inwieweit man selbst als Organisation zu Rassismus beiträgt. Die eigenen blinden Flecke erkennen – auch hier die elementare Aufgabe.
Und was als Einzelne/r?
Rassismus ist in Deutschland ein großes Thema, das hier allerdings oft stark theorie-lastig diskutiert wird. Das erzeugt den Eindruck: Man muss erst ganz viel verstehen, von sich und von der Gesellschaft, bevor man handelt. Für Elisabeth Kaneza ist das nicht die Hauptsache: Als Nicht-Betroffene kann man leicht etwas für Betroffene tun, wenn man Zeuge von Diskriminierung wird: einfach das Gespräch anbieten. Nur solle man sich nicht als Mitglied der dominanten Gruppe auf seinen Machtpositionen ausruhen.
Und was ist jetzt mit dem Begriff „Rasse“ in Gesetzestexten?
Gerade wird öffentlich debattiert, ob der Begriff „Rasse“, da es sich selbst um ein rassistisches Konstrukt handelt, im Grundgesetz gestrichen werden sollte. Als Rechtswissenschaftlerin kann Elisabeth Kaneza davor nur warnen. Tilgt man das Wort, könnte man behaupten, Rassismus sei kein Thema mehr. Schlimmer noch: Die Diskussionen dazu verbrauchten wichtige Ressourcen. Statt das reale Problem anzugehen, begnüge man sich mit einem symbolischen Erfolg, der den Kampf gegen Rassismus bremsen könnte.
Hinweise zum Weiterlesen, empfohlen von Elisabeth Kaneza:
- “Antirassimus: Neutralität hilft kein Stück weiter“ – Das Gegenteil von rassistisch ist nicht “nicht rassistisch”, sondern “antirassistisch”. Das erläutert der Historiker Ibram X. Kendi in der FAZ.
- “Schwarze Community in Deutschland” – ein Dossier zur Entstehung der Schwarzen Community in Deutschland, mit Einblicken insbesondere in die Arbeit Schwarzer Wissenschaftlerinnen, herausgegeben von der Heinrich Böll Stiftung.
- Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus – 2008 erstmals aufgelegt und 2017 aktualisiert, können hier die Positionen und Maßnahmen der Bundesregierung eingesehen werden.
- Aktivitätenprogramm für die “Internationale Dekade für Menschen Afrikanischer Abstammung” – 2014 von den Vereinten Nationen verabschiedet.
Weitere Lese- und Hörtipps zur Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus:
Bücher und Hörbücher:
- “Exit Racism” von der Autorin und Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette
Ein Handbuch, um die Entstehung, Strukturen und Wirkungsweisen von Rassismus in Deutschland zu verstehen – mit sehr paraktischen Anleitungen und Aufgaben, um die eigenen Gewohnheiten aufzubrechen. Auch als Hörbuch über viele gängige Plattformen kostenlos verfügbar. Die Autorin außerdem im Interview mit Spiegel Online hier. - “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten” von der Autorin und Journalistin Alice Hasters
Eine junge Stimme, die beschreibt, warum die Konfrontation mit dem eigenen Rassimus zwar schmerzhaft sein kann, aber der einzige Weg ist, ihn zu überwinden. Außerdem eindrückliche Einblicke in den Alltag als Schwarze Frau in Deutschland. Ebenfalls als Hörbuch verfügbar, z.B. hier über Spotify. Alice Hasters außerdem hier im Interviewpodcast von Zeit Online. - “Deutschland Schwarz Weiß” von der Künstlerin und Autorin Noah Sow
Bereits ein Klassiker auf diesem Gebiet und ebenfalls eine gute Einführung, um eigene Denkmuster zu hinterfragen.
Artikel, Video- und Hörbeiträge:
- In der Serie “Alltag Rassismus“ von Zeit Online finden Sie unter anderem 20 konkrete Empfehlungen und Denkanstöße, um selbst weniger rassistisch zu sein.
- Sawsan Chebli (u.a. Staatsekretärin für Bürgerschaftliches Engagement in Berlin) zur Frage “Wie groß ist Deutschlands Rassismus Problem?” im Video-Interview mit Spiegel Online.
- Unter dem Titel “Wortewandel” widmet sich Deutschlandfunk Kultur in einer Reihe verschiedenen Begrifflichkeiten wie Weiß, People of Color oder Intersektionalität.
- Zum immanenten Zusammenhang von Kolonialismus und Rassismus und zu der Frage, weshalb wir uns mehr mit der europäischen (und deutschen) Kolonialgeschichte auseinandersetzen müssen, findet sich hier ein Beitrag auf Zeit Online.
- Die Reihe “Identitäten” aus der Sendung “Essay und Diskurs” vom Deutschlandfunk: Sieben Hörbeiträge von Autor/innen und Aktivist/innen zum Thema Identität und Diskriminierung, z.B. von Alice Hasters hier oder von der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hier.
- Die ZDF Reportage “Streitfall Rassismus – wie gleich sind wir?” versucht, u.a. mit versteckter Kamera zu verdeutlichen wie es sich anfühlt, hierzulande scheinbar fremd zu sein.