Das sechste bagfa-Digital-Gespräch zu den zehn Thesen eines Zivilgesellschaftsforschers zu Herausforderungen des Engagements in diesen Tagen
Nur wenige haben einen solchen Überblick über Gegenwart und Geschichte der Zivilgesellschaft wie er – und nur wenige erheben ihre Stimme für die Rechte und Aufgaben dieses Sektors jenseits von Staat und Markt so prägnant wie er. Die bagfa e.V. hatte Dr. Rupert Graf Strachwitz, unter anderem Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft, am 11. Februar eingeladen, um seine kürzlich publizierten zehn Thesen vorzustellen und mit 50 Teilnehmenden zu diskutieren. Hier einige Einblicke aus 55 Minuten, die Thesen finden sich hier in „Politik & Kultur“ S. 21.
Für was setzt sich der Publizist und Forscher leidenschaftlich gern ein, bislang noch vergeblich?
Dass von politischer und staatlicher Seite anerkannt wird, dass auch die Zivilgesellschaft zu den Trägern der politischen Ordnung gehört. Entsprechend lautet eine These:
„Die Akteure des demokratischen Staates müssen diese Mitgestaltung und Einbindung der Zivilgesellschaft und von bürgerlichem Engagement ermöglichen, nicht sie behindern oder belächeln.“
Vor Kurzem hätte es die Möglichkeit gegeben, als das Gemeinnützigkeitsrecht bzw. das entsprechende Steuerrecht reformiert wurde. Doch am Ende stand, von einigen Fortschritten abgesehen, wieder die Weigerung, Zivilgesellschaft auch am politischen Willensbildungsprozess teilnehmen zu lassen. So bleibt es dabei, dass etwa ein Heimat-Verein, der sich öffentlich gegen Rassismus positioniert, seine Gemeinnützigkeit verlieren kann.
Nach wie vor unterminiere die Politik die Zivilgesellschaft, oft tue sie sie sogar als Freizeitbeschäftigung ab – für Graf Strachwitz eine „üble Diffamierung“.
Mitgestaltung zu beanspruchen bringe aber auch Pflichten für die Zivilgesellschaft mit sich. Man müsse dann selbst seine Positionen und Hintergründe transparent machen und etwa öffentlich nachweisen, wie man finanziert sei, so wie das Initiative Transparente Zivilgesellschaft vorsehe.
Was erwartet er engagementpolitisch von der Bundestagwahl kommenden September?
Die nüchterne Antwort von Graf Strachwitz: Er habe keine Erwartungen. Denn keine der Parteien habe aktuell ein nennenswertes Verständnis für die Zivilgesellschaft. Wenn sie in den Wahlprogrammen auftauche, dann wahrscheinlich nur am Rande und eher floskelhaft. Konkrete Auswege sieht er nicht. Die Parteien selbst dafür zu gewinnen, auch indem man als Mitglied die Agenda mitbestimmen versuche, sei schwierig.
Was bringt das Konzept von Engagement als Geschenk an die Gesellschaft?
Einige seiner Thesen kreisen um dieses Konzept: Bürgerschaftliches Engagement sei ein „Geschenk an die Gesellschaft“, das diese braucht für ein gutes Leben ihrer Bürger:innen.
Das sei nichts Neues: Schenken sei eine anthropologische Konstante und gehöre zu jeder Kultur. Auch viele Tiere kennen eine Kultur des Geschenks. Gleichzeitig können man historisch schauen, wo diese Kultur unterdrückt worden sei. Gesellschaften ohne diese Geschenke würden „verelenden“.
Was können Freiwilligenagenturen mit dem Begriff Geschenk anfangen?
Offenkundig bislang nicht viel: Nur etwa ein Viertel der Teilnehmenden geben in einer kleinen Umfrage, die wir während des Digitalsgesprächs machen, an, sie würden den Begriff nutzen, um Engagement darzustellen. Aber sichtbar war: Viele werden ihn in ihren fachlichen Sprachschatz wohl aufnehmen und fanden die Auseinandersetzung damit inspirierend.
Eine Teilnehmerin brachte es auf die Formel: „Engagement ist ein Geschenk – aber nicht immer ein nettes.“ Dabei nahm sie Bezug auf eine weitere These: „Die Zivilgesellschaft ist nicht nett, sondern wichtig.“
Ist Engagement nur als Geschenk zu sehen?
Nicht alle wollen das Engagement auf die Logik des Geschenks reduzieren lassen. Graf Strachwitz verwies auf die Systematik von François Perroux, die dem Staat die Gewalt zuordnet, dem Markt den Tausch und der Zivilgesellschaft das Geschenk.
Im Engagement fände doch auch ein Tausch statt, wendet ein Teilnehmer ein. Durchaus, konzediert Graf Strachwitz, natürlich gebe es ein Geben und Nehmen – aber im Engagement gebe es zunächst kein verbrieftes Recht, für den Einsatz von Zeit, Empathie etc. eine unmittelbare Gegenleistung zu bekommen. Für Geld jedoch bekommt man immer eine Banane oder dergleichen.
Und Corona?
„In und nach Corona brauchen wir Geschenke an die Zivilgesellschaft und Geschenke der Zivilgesellschaft mehr denn je“, lautet eine These. Wie wichtig ihre Funktion der Gemeinschaftsbildung ist, könne man derzeit ablesen am Leiden vieler Menschen, die sich nicht treffen können – und für die aber Engagement ein Ankerpunkt ihres Lebens ist.
Die Gemeinschaftsbildung, so Graf Strachwitz, müsse „nach“ Corona wieder in Gang gebracht werden. Eine schwierige Aufgabe, die von der Regierung momentan ausgeblendet werde.
Dass viele zivilgesellschaftliche Akteure die Wächter- und Anwaltsfunktion übernehmen, wie sie von Graf Strachwitz vorgesehen ist, ist unbestritten. Nur, wie war das im letzten Jahr, bezogen auf Menschen in Altersheimen oder anderen Einrichtungen? Er meint, hier hätten Stimmen aus der Zivilgesellschaft sehr stark gefehlt, nur Poliktiker:innen und Wissenschaftler:innen seien vernehmbar gewesen. Was auch an den geringen Ressourcen zivilgesellschaftlicher Akteure für Öffentlichkeitsarbeit gelegen habe.
Warum muss und wie kann die Stimme der Zivilgesellschaft im öffentlichen Raum lauter werden?
Hier verweist er auf eine Studie, die untersuchte, wer die Gäste in bekannten TV-Talkshows sind. Zu über zwei Dritteln kommen sie aus der Politik. Die Zivilgesellschaft werde hier meist völlig vergessen – was ihrer Bedeutung nicht gerecht werde.
Wichtig sei in diesem Zusammenhang: Die Akteure der Zivilgesellschaft selbst sollten eine einheitliche Definition haben. Nur so könnten sie sich besser Gehör verschaffen. Für ihn seien die zentralen Kennzeichen: Freiwilligkeit/Selbstorganisation, Gemeinwohlorientierung, Verbot finanzielle Überschüsse an Mitglieder etc. auszuschütten, Autonomie, Verzicht auf die Übernahme von übergeordneten Machtpositionen u.a. Genauer ist diese Definition in seinem Papier „Basiswissen Zivilgesellschaft“ nachzulesen, hier.
Ein oft diskutierter Punkt: Zählt man Pegida und Querdenker etc. auch zur Zivilgesellschaft? Unbedingt, sagt er, auch wenn man sie ablehne, gehörten sie dazu. Seine Analogie: Kaum jemand wird einen Staat wie Nordkorea gutheißen, trotzdem müsse man das Land als Staat verstehen.
Was waren Rupert Graf Strachwitz‘ drei Wünsche an Freiwilligenagenturen?
Wie immer in diesem Format am Schluss danach gefragt, ermutigt er zuerst: „Weitermachen! Sie haben eine wichtige Mittlerfunktion.“
Zweitens wünscht er sich von Freiwilligenagenturen, sie könnten noch etwas offensiver werden, auch im Anpreisen von Möglichkeiten des Engagements, das eher spontan machbar ist.
Und drittens sollten Freiwilligenagenturen stets die volle Bandbreite der Möglichkeiten und Funktionen von Zivilgesellschaft in den Blick nehmen.
Siehe auch Handbuch Zivilgesellschaft, von Rupert Graf Strachwitz gemeinsam geschrieben von Eckhard Priller und Benjamin Triebe, mehr hier.