15.07.2020

Was kommt durch Corona für das Engagement? Neun Einblicke von Freiwilligenagenturen aus der Reihe „Danachgedanken“

Was kommt durch und nach Corona für das bürgerschaftlichen Engagement? Inspiriert durch eine Reihe des Goethe-Instituts, hatten wir ab Mitte Mai Kolleg/innen aus Freiwilligenagenturen gefragt, ob sie ein wenig in die Zukunft schauen und uns einen „Danachgedanken“ schicken. Zunächst veröffentlicht in den bagfa-Engagementnachrichten, versammeln wir die neun Ein- und Vorausblicke hier.

Foto via Pixabay

Interessant: Die Beitragenden hielten sich mit weitreichenden Prognosen zurück – vielleicht stark mit den Bewegungen und Aufgaben der unmittelbaren Gegenwart beschäftigt. Oder sie haben geahnt, was wir unterdessen lernen mussten: Ein klar abgrenzbares Danach könnte es vorerst gar nicht geben. Schließlich müssen uns, so sagte kürzlich einer der prominenten Virologen, eher auf ein Leben mit als nach Corona einstellen.

Viele der neun Beiträge drehen sich um den Digitalisierungsschub und deklinieren durch, welche Möglichkeiten sich dadurch bieten – oder auch nicht. Auch hier zeigte sich, wie in so vielen Bereichen: Corona ist auch ein Brennglas, um die gesammelten Probleme noch schärfer zu stellen.


#Danachgedanke Nr. 1: Online bleibt

Von Carolin Goydke, Leiterin Freiwilligen Zentrum Hamburg:

Auch „davor“ gab es den Begriff „Online-Engagement“. Kam aber kaum vor: Website, App oder Datenbank programmieren, Mails beantworten… Außer bei Wikipedia mitzumachen, kannte ich keine richtigen „Online-Projekte“. Aber jetzt. Online-Schulaufgabenhilfe, Online-Aussprachetraining, Online-Gruppenleitung… ENDLICH kann man sich, auch ohne Programmierer*in zu sein, „remote“ engagieren, sogar, wenn man auf Dienstreise, im Krankenhaus, in Quarantäne oder im Urlaub ist. Das bleibt. Auch danach.


#Danachgedanke Nr. 2: Umweg Ehrenamt

Von Stefanie Lachmann, Koordinatorin EhrenamtsAgentur der Bürgerstiftung Weimar:

Thüringen. Fallzahlen niedrig, Katastrophe ausgeblieben, man rüttelt am Gitter. Dynamik in den offiziellen Verlautbarungen… öffnen, schließen, Geld, doch kein Geld, jetzt, später. Niemand will sich auf eine Zukunft festlegen, deren Perspektiven sich stündlich ändern. Bevor die Gesellschaft nicht halbwegs zur Ruhe kommt, hat das Ehrenamt Pause. Alles wird, wie’s war? Nee, es werden bald wieder mehr Leute, die bezahlte Arbeit suchen, den Umweg über das Ehrenamt nehmen müssen.


#Danachgedanken Nr. 3: Wer, wenn nicht wir

Von Wolfgang Krell, Geschäftsführer des Freiwilligen-Zentrum Augsburg gGmbH und Vorstand bagfa e.V.:

Lehrer/innen erzählen uns, sie hätten auch schon im Januar sagen können, welche ihrer Schüler/innen sie bei der Online-Schule verlieren werden. Senioren wünschen sich Hilfe, wo wir den Eindruck gewinnen, die Krise in ihrem Alltag gab es schon vor Corona. Krise als Chance? Zumindest eine Chance jetzt und auch in Zukunft genauer hinzuschauen, welche Bedarfe es bei den Menschen in unserem Land gibt. Und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum wir in „normalen“ Zeiten“ als Gesellschaft nicht so genau hinschauen. Wenn das in unserem reichen Land schon so ist, wie wird sich Corona erst in ärmeren Ländern langfristig auswirken?


#Danachgedanke Nr. 4: Gemeinsamer (online) lernen

Von Uwe Lummitsch, Geschäftsführer LAGFA Sachsen-Anhalt e.V.:

Eine Lektion der letzten Wochen ist: Lernen, Wissen transferieren und Qualität entwickeln geht auch online – und daher auch länder- und sektorenübergreifend. Als LAGFA haben wir kürzlich zum ersten Mal ein Webinar gemeinsam mit und für die lagfa-Bayern umgesetzt. Das gelang so gut, dass ich dachte: Die lagfa‘en könnten ihre online-Bildungsangebote doch auch für andere Agenturen, Verbände etc. öffnen. Ein neues Bildungspotenzial, das auch nicht immer kostenlos sein muss. Bei uns sind Webinare nun eine feste Kategorie.


#Danachgedanke Nr. 5: Zurück in den Alltag  

Von Stephanie Krause, Vorsitzende lagfa NRW e.V. Freiwilligenzentrale Hagen e.V.:

Corona hat wieder einmal gezeigt: Das bürgerschaftliche Engagement ist zur Stelle, wenn es gebraucht wird. Nicht zuletzt dank der flexiblen Kolleg*innen vor Ort. Langsam gilt es Alltag wieder aufzunehmen. Die Kontaktbeschränkungen haben gezeigt, dass der persönliche Kontakt häufig einfach nicht zu ersetzen ist – trotz aller tollen digitalen Tools. Und dann mal sehen, wie (öffentliche) Förderung sich unter dem hohen Finanzdruck der kommenden Jahre entwickeln wird. Eine Kristallkugel wäre wünschenswert, aber so bleibt es wie immer spannend.


#Danachgedanke Nr. 6: Solidarität erfahrbar machen

Von Lothar Heusohn, Vorsitzender der Freiwilligenagentur engagiert in ulm e.V.:

Als Teil der Zivilgesellschaft sind Freiwilligenbüros und -agenturen wie geschaffen, einen Grundpfeiler des demokratischen Verständnisses mit Leben zu füllen – vor, in und nach der Krise: Solidarität nicht als „schönen Traum“, sondern als Wirklichkeit für alle Menschen erfahrbar zu machen, gerade für die, die in den letzten Wochen keinerlei Beachtung fanden, nämlich geflüchtete Menschen an den europäischen Außengrenzen. Denn „all lives matter“.


#Danachgedanke Nr. 7: Digitaler Aufschwung

Von Paula Bergmann, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Anerkennung und Digitalisierung bei der bagfa, seit 2016 engagiert bei youvo.org:

So furchtbar der Auslöser auch sein mag, freue ich mich über den großen “Aufschwung“, den digitales Engagement gerade erfährt. Mir scheint, als sei nun vielen klarer, wie vielfältig digitale Engagement-Formate sein können und dass es um mehr geht als ein bisschen Klicken und Liken. Ich hoffe sehr, dass diese Erkenntnis dazu führt, dass diejenigen Akteure (darunter sind natürlich auch Freiwilligenagenturen), die bereits vor der Pandemie tolle digitale Lösungen für Engagement entwickelt und aufgebaut haben, nun mehr Wertschätzung und Unterstützung erhalten. Kombiniert mit den neuen Ideen und Erfahrungen aus der Krise, sehe ich so eine echte Chance für eine gut aufgestellte und lebendige digitale Zivilgesellschaft.


#Danachgedanke Nr. 8: Das riesige Privileg

Von Lilian M. Grote, Projektleitung „Sprache schafft Chancen“ bei der lagfa Bayern:

Und nun? Besprechen. Telefonieren. Nachdenken. Recherchieren. Infragestellen. Brainstormen. Lernen.
Einfach machen: Tools. Chance. Downloads. Webcam. Datenschutz. Beratung. Mikrofon. Weiterbildung.
Und es geht doch! Euphorisch. Zeitraubend. Motiviert. Angespannt. Informativ. Überregional. Vernetzend.
So in etwa sahen unsere letzten Wochen im Digitalisierungs-Zeitraffer aus. Wieder mal zeigte sich: Es ist ein riesiges Privileg des Engagements vor Ort und von zivilgesellschaftlichen Organisationen, kurzfristig und flexibel auf aktuelle Situationen reagieren zu können. Nun gilt es, nachhaltig die Vorteile aus der Pandemie mitzunehmen. Hybridlösungen aus digital und analog bergen dabei ein riesiges Potential für uns, Freiwilligenagenturen und ein zukunftsorientiertes bürgerschaftliches Engagement.


Danachgedanke Nr. 9: Schub mit Grenzen

Von Doris Heineck, Geschäftsführerin der Freiwilligenagentur Marburg – FAM, und Christa Perabo, Vorstandsmitglied der FAM:

Eine Zeit der Veränderungen: Engagement über den Gartenzaun ist gewachsen – Jüngere bieten Älteren an, für sie einzukaufen. Gleichzeitig sehen sich Ältere in ihren Engagementmöglichkeiten eingeschränkt, z.B. in Nachbarschaftshilfen, weil man sie sie generalverdächtigt, am stärksten gefährdet und gefährdend zu sein. Einige von Ihnen wünschen sich deshalb Unterstützung bei der Nutzung von digitalen Tools, wie z. B. Videokonferenzen, um weiter im Kontakt zu bleiben. Bei der Freiwilligenagentur Marburg gibt es insgesamt einen Digitalisierungsschub auch in Form von Fortbildungsangeboten z.B. zu Grundlagen des Asylrechts, zu neuen Formen der Gestaltung der Vereinskultur. Internet wie auch telefonische Besuchsdienste und Beratungen ergänzen den persönlichen Kontakt, können diesen jedoch nicht ersetzen!