Gemeinsam an Schutzkonzepten für starkes Engagement arbeiten: Einsichten aus unserem Digitaltalk am 12. Dezember 2024
Viele Freiwilligenagenturen sind wichtige Vernetzungsakteure vor Ort. Durch Bedrohung von außen geraten sie in dieser Rolle zunehmend unter Druck, etwa durch rechtsextreme Strukturen. Doch wie lässt sich die Zivilgesellschaft und das Engagement vor Ort stärken und schützen? Wie schafft man Grundlagen für kommunale Schutz- und Präventionsnetzwerke? Wer sollte eingebunden werden und wie organisiert man sich? Wer übernimmt welche Aufgaben – von Freiwilligenagentur bis zur Polizei? Was können Freiwilligenagenturen in diesem Prozessen anstoßen, bewegen und selbst aufbauen? Wer sind die Partner:innen an ihrer Seite? Über diese und viele weitere Fragen sprachen wir am 12. Dezember mit Dr. Cathleen Bochmann von der Aktion Zivilcourage in unserem Format „55 Minuten“, an dem knapp 50 Kolleg:innen teilnahmen.
In den letzten drei Jahren hat die Aktion Zivilcourage unter der Beteiligung von Dr. Bochmann ein Projekt zur Entwicklung und Erprobung von kommunalen Schutzkonzepten für zivilgesellschaftliche Akteure durchgeführt. Außerdem ist Bochmann Mitglied im Sounding Board des Pilotprojekts „Schutz- und Präventionsnetzwerk für das Ehrenamt“ der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE), in dem auch die bagfa mit dem Projekt „Schutzraum Freiwilligenagentur“ mitwirkte.
In dem Vorhaben der Aktion Zivilcourage arbeitete Dr. Bochmann mit Ihrem Team bundesweit mit zehn Kommunen zusammen, in denen regelmäßig Anfeindungen und Bedrohungen gegenüber der Zivilgesellschaft stattfinden. Die Ergebnisse des Projekts erscheinen demnächst als Handreichung, um solche Netzwerke auch an anderen Orten zu ermöglichen. Wir konnten mit ihr im Rahmen des Digitaltalks bereits vorab auf die Erkenntnisse des Projekts blicken und über konkrete Empfehlungen für die Praxis vor Ort sprechen.
Der Digitaltalk ist hier zum Nachhören auf unserem YouTube-Kanal zu finden.
Außerdem haben wir 5 zentralen Einsichten aus dem Gespräch mit Cathleen Bochmann in einer Kurzdokumentation festgehalten:
1. Schutzkonzepte stärken nachhaltig demokratisches Engagement und demokratische Kultur auf kommunaler Ebene
Nach drei Jahren Projektlaufzeit zieht Frau Dr. Bochmann ein positives Resümee: Besonders stolz mache sie, dass die Projektpartner:innen größtenteils weiterarbeiten werden. Viele Kommunen haben nun eine gemeinsame Haltung zum Thema sowie das Werkzeug in der Hand, um die Demokratie vor Ort wirksam verteidigen zu können. Außerdem arbeiteten vielerorts nun Menschen zusammen, die dies in der Form vorher nicht getan hätten und ziehen nun gemeinsam an einem Strang. Das sei wichtig, denn der Schutz des Gemeinwesens vor demokratiefeindlichen Kräften ist laut Dr. Bochmann eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
2. Die Beteiligung junger Menschen in der Kommune ist ein wichtiger Schlüssel zur Stärkung der Demokratie vor Ort
Diese Einsicht lässt sich aus den Einblicken von der Arbeit vor Ort ableiten, die Cathleen Bochmann mit den Teilnehmenden teilte. Denn bei der Aktion Zivilcourage stehen nicht nur Erwachsene im Fokus: 50 Hauptamtliche sowie 160 Honorarkräfte und Engagierte arbeiten in verschiedenen Projekten. Diese Demokratiearbeit beginne bereits mit Kindern und Jugendlichen in Horten von Grundschulen sowie in Peer-Projekten mit Jugendlichen der neunten Jahrgangsstufe. Hier entwickeln die Schüler:innen Problemstellungen und Fragen, die sie im Alltag beschäftigen. Die Peers vermitteln die Jugendlichen dann mit diesen Fragen an politisch Verantwortliche, so werden praktische Veränderungen vor Ort angestoßen und die jungen Menschen erfahren Selbstwirksamkeit. Sie merken laut Bochmann, dass es auf sie und ihr Engagement ankommt. Sie betonte, dass es auch darum gehe, nicht nur auf die sogenannten „Problemjugendlichen“ zu schauen, sondern mit denen zu arbeiten, die etwas verändern wollen.
3. Eine sektorübergreifende Zusammenarbeit ist möglich und nötig
Vorbild und Kerngedanke der vom Bundesfamilienministerium beauftragten Begleitung bei der Erstellung kommunaler Schutzkonzepte war der Ansatz der sektorübergreifenden Zusammenarbeit. Die Aktion Zivilcourage hat in den zehn Partnerkommunen nach einer umfassendes Lageanalyse eine sektorübergreifende Koordinierungsgruppe ins Leben gerufen. Dreh- und Angelpunkt dieser sektorübergreifenden Koordinierungsgruppen waren meist die jeweiligen Fach- und Koordinierungsstellen der örtlichen Partnerschaften für Demokratie sowie das federführende Amt der Kommune. Daneben haben weitere Vertreter:innen der Stadt, der Polizei sowie Multiplikator:innen aus der Zivilgesellschaft sowie idealerweise die politische Spitze teilgenommen. Hier wurde darüber gesprochen, was den Beteiligten auf Grundlage des Lageberichts am wichtigsten war. Bochmann berichtete, dass die Prioritätensetzung von Ort zu Ort verschieden war. Es gab jedoch zwei Hauptfragen, an denen gemeinsam gearbeitet wurde: So wurde erstens geschaut, wie Gefährdungen vermieden werden konnten (z.B. durch Schutzkonzepte), und zweitens geprüft, wie Betroffene besser unterstützt werden können bzw. wie sie so unterstützt werden können, dass sie sich bei Bedrohung weiter engagieren können (z.B. durch ein Netzwerk, dass ihnen Schutz gibt und sie unterstützt).
4. Dimensionen eines kommunalen Schutzkonzepts
Strukturbildung, Information, Soziale Unterstützung, Zusammenarbeit mit der Polizei und Prävention: Das seien die Grundpfeiler eines kommunalen Schutzkonzepts, die Cathleen Bochmann erläuterte. Das Modell ist in Abhängigkeit von Ressourcen, Bedarfen und Problemlagen flexibel anpassbar und beinhaltet die folgenden Bereiche:
- Bereich Strukturbildung: Schaffung eines Netzwerks, einer Koordinierungsgruppe, einer AG oder eines runden Tisches. Daran schließt sich die Frage an, was die Rollen der jeweiligen Akteure sind und wer was von wem braucht. Eine wichtige Strukturbildungsmaßnahme ist außerdem die Etablierung und Zusammenarbeit mit festen Ansprechpartner:innen, z.B. bei der Polizei. Durch diesen Prozess gelingt es laut Dr. Bochmann Ressourcen zu bündeln und so schneller ins Handeln zu kommen, auch weil die Wege kürzer und die Ansprechpersonen bekannt sind.
- Bereich Information: Das meint zum einen die Information, dass sich Engagierte beispielsweise nicht mehr sicher fühlen. Diese sollten mit der Herausforderung, ggf. untermauert durch einen wissenschaftlich gestützten Lagebericht, an die Entscheidungsträger:innen in der Kommune gehen. Zum anderen sind wichtige Informationen für Freiwillige gemeint, wie Antworten auf die Frage „Wie kann ich mich besser schützen?“ oder Schulungen und Argumentationstrainings für Jugendliche (z.B. Sicherheitsinseln auf dem Weg nach Hause) oder für Verwaltungen (Handlungssicherheit im kommunalpolitischen Handeln).
- Soziale Unterstützung: Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass es Teil der Belastung von Betroffenen ist, sich in ihrer Lage allein zu fühlen. Deshalb ist es wichtig, mit diesen einzuchecken, breite Bündnisse für deren Unterstützung zu bilden. Auch sind klare Positionierungen von z.B. Bürgermeister:innen nach einem Vorfall sowie Preise und Wertschätzung für Engagement von großer Bedeutung.
- Zusammenarbeit mit der Polizei und Sicherheitsbehörden: Damit sich Täter:innenstrukturen nicht aufrechterhalten können, ist nach Dr. Bochmann staatliche Repression in Form von Strafanzeigen wichtig. Dazu gehöre auch, die Menschen zur frühen und engen Zusammenarbeit mit der Polizei zu ermutigen (z.B. bei Festen) und Vorfälle auch anzuzeigen.
- Prävention: Dafür können Aktive, die noch keine Bedrohungen erfahren haben, geschult werden. Geeignete Maßnahmen vor Ort sind u.a. Dialogformate (z.B. Worldcafé, Demo Slam), die dazu beitragen können, Dialog und eine friedliche Konfliktaustragung zu fördern. Ebenso wichtig ist es, Vorfälle zu analysieren, um daraus Präventionsstrategien für die Zukunft abzuleiten.
5. Erste Schritte hin zu mehr Sicherheit sind einfacher als gedacht: Auch für kleine Freiwilligenagenturen
Frau Dr. Bochmann betont: Insbesondere kleine Agenturen sollten sich, um ihre Verhandlungsmacht zu stärken, in Bündnissen organisieren. Neben dem Aufbau breiter demokratischer Bündnisse sei es grundsätzlich auch sinnvoll, die Schlüsselakteure vor Ort zu identifizieren. Damit meint sie Menschen, die bereit sind, sich aktiv für den Schutz der Zivilgesellschaft zu engagieren. In der Realität seien das z.T. andere als die dafür Zuständigen aus der Verwaltung. Auch Erschütterung und, wenn nötig, Penetranz seien Wege, Verbündete auf der kommunalen Ebene zu gewinnen. So könne man Akteure zu der Vorstellung von Lageberichten einladen. Immer wieder zu schreiben und anzuklopfen habe sich ebenfalls bewährt. Schutz könne außerdem ganz basal vermittelt werden, beispielsweise in einem Training zum Schutz vor digitalen Angriffen. Außerdem sei es wichtig, auch an den Schutz anderer aus dem Netzwerk, beispielsweise an den der Kolleg:innen, die mit Menschen mit Fluchtgeschichte arbeiten, zu denken.
Zur Person:
Dr. Cathleen Bochmann entwickelt seit 2016 unter den Eindrücken wütender Bürgerproteste gemeinsam mit verschiedenen Praxispartner:innen das “Kompetenzzentrum Krisen-Dialog-Zukunft – Konfliktprävention, Krisenintervention und kommunale Beratung” und leitet seitdem diesen Verbund aus Wissenschaft, Praxis und Politik. Bei der Aktion Zivilcourage entwickelt Cathleen Bochmann seit 2022 wissenschaftlich basierte Schutzkonzepte für zivilgesellschaftliche Akteure, die von Bedrohungslagen betroffen sind.
Lektüretipps zum Thema:
- Broschüre der Aktion Zivilcourage zur Projektdokumentation: Ab Ende 2024 verfügbar. https://www.aktion-zivilcourage.de/
- Aktion Zivilcourage: Schutzkonzepte – Verwaltung – Angebote – Aktion-Zivilcourage