Vielfältiges Engagement junger Menschen und spannende Beispiele aus der Praxis vor Ort – Einblicke das Arbeitsforum am 21. November 2024
Junge Menschen in Deutschland sind besorgt, pragmatisch und anfällig für Populismus, aber auch politisch interessiert und bereit sich zu engagieren – das besagt die kürzlich veröffentlichte Shell Jugendstudie. Und das sagen nicht nur die Zahlen – wir erfahren es auch in der Praxis, denn junge Menschen bringen sich in zahlreichen Einsatzfeldern ein, haben Lust, mit anzupacken oder ihre Kompetenzen im Engagement zu erweitern.
Was sie dabei antreibt und wie Freiwilligenagenturen gezielt junge Menschen ansprechen können, diskutierten wir gemeinsam mit rund 70 Teilnehmenden in dem bagfa-Arbeitsforum Jugendengagement: „Politisch, digital, flexibel – Wie wollen sich junge Menschen engagieren?“ am 21. November 2024.
In dem Forum blickten wir gemeinsam auf Zahlen und Fakten rund um das Jugendengagement, starteten eine Bestandsaufnahme mit den anwesenden Freiwilligenagenturen und blickten im Gespräch auf die Praxis von drei Agenturen. Außerdem zeigte Dennis Hoenig-Ohnsorg in einem Input auf, wie wir junge Menschen dabei unterstützen können, ihre Potenziale auf vielfältige Weise in einem Engagement zu entfalten.
Wo stehen wir? Bestandsaufnahme zu Freiwilligenagenturen und Jugendengagement
Zum Start des Arbeitsforums nahmen die Teilnehmenden an einer kurzen Umfrage teil: Für eine Bestandsaufnahme wurden die Kolleg:innen befragt, wie wichtig ihnen das Thema Jugendengagement ist, welche Motivation sie hier antreibt, wie sie in dem Bereich aktiv sind und welche Altersklasse für sie relevant ist. Außerdem stellten die Kolleg:innen einige Engagementangebote für junge Menschen in den Chat.
Bei der Bestandsaufnahme wird deutlich: Jugendengagement wird als relevantes Thema der eigenen Arbeit angesehen, das Freiwilligenagenturen aus eigener Motivation heraus angehen. Dabei werden sowohl Projekt- als auch die klassische Vermittlungsarbeit in den Blick genommen – vor allem für die Altersklassen zwischen 14 und 25 Jahren.
Impuls: Daten und Fakten zu Jugendengagement
Die Shell-Jugendstudie, das Inklusionsbarometer Jugend oder der Engagement-Bericht: Eine Vielzahl von Studien und Publikationen befasste sich in den letzten Jahren mit dem Engagement junger Menschen, ihren Motivationen und ihren gesellschaftlich-politischen Ansichten.
Höchste Zeit die Zahlen, Daten und Fakten zu sichten. Anne Pahl von der bagfa stellte daher einige interessante Ergebnisse aktueller Publikationen vor.
Zwar haben sie verstärkt Zukunftsängste, trotzdem zeigt sich in den Zahlen, dass eine Mehrheit der jungen Menschen eine bessere Welt für möglich hält und sie der Meinung sind, die gesellschaftlichen Verhältnisse durch ein Engagement verändern zu können. Junge Menschen können sich in vielen Bereichen eine freiwillige Tätigkeit vorstellen – hier zeigt sich ein großes Potenzial.
Wichtig sei aber auch, das sich verändernde Engagement und die Ängste und Sorgen junger Menschen mitzudenken. Denn einige Befunde lasse sich klar aus der Studienlage ablesen: Alter ist nur ein Faktor von vielen, der Engagement beeinflusst – einen großen Einfluss hat die sozioökomische Situation. Der Zugang zu einer freiwilligen Tätigkeit erfolgt außerdem meist über das soziale Umfeld oder die Familie.
Die Präsentation zum Input über Daten und Fakten zu Jugendengagement ist hier als Download verfügbar.
Die Publikationen und Studien im Überblick:
- Shell Jugendstudie (2024) | Zum Download
- 3. Engagementbericht der Bundesregierung (2020) | Zum Download
- Studie der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE): Jung und engagiert für Klima- und Umweltschutz (2024) | Zum Download
- Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung, Ruhr-Universtität Bochum: Neue Formen des freiwilligen Engagements junger Menschen in Stadt und Land (2024) | Zum Download
- 17. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (2024) | Zum Download
- Inklusionsbarometer Jugend der Aktion Mensch (2024) | Zum Download
- Miriam Schwarzenthal: Critical, active, and well adapted: Antecedents and consequences of adolescents’ critical consciousness profiles (2023) | Zum Download | Artikel zur Studie auf Deutsch
Gemeinsam mit jungen Menschen Wege ins Engagement finden: Freiwilligenagenturen berichten aus der Praxis
Nach den Zahlen über junge Menschen ging es direkt in die Praxis: Wie sieht die Arbeit mit jungen Freiwilligen vor Ort aus? Um diese Frage zu beantworten, gaben drei Freiwilligenagenturen Einblick in ihre (Projekt-) Arbeit für und mit jungen Menschen. Dabei wurde eine Gemeinsamkeit deutlich: Mit den richtigen Formaten und Unterstützungsstrukturen lässt sich gemeinsam mit jungen Menschen der Weg in ein Engagement finden. So kann Selbstwirksamkeit und Mitgestaltung für das ganze Leben gelernt werden.
Ein Verein mit einer engen Anbindung an die Freiwilligenagentur vor Ort: Dieses Konzept verbirgt sich hinter “Peer Leader International” im niedersächsischen Ort Ostrhauderfehn. Katja Peper ist ein Teil der Geschäftsführung und berichtet von dem Jugendnetzwerk. Gemeinsam mit internationalen Partner:innen, etwa aus Israel oder der Ukraine, organisiert der Verein vor Ort in Ostrhaudenfehn, aber auch in den Partnerländern, Projekte mit jungen Menschen. Ziel ist es, das Engagement der Zielgruppe zu stärken. Der Fokus liegt hierbei auf dem Peer-to-Peer-Learning: Junge Menschen geben also ihre Erfahrungen und Wissen an weitere junge Menschen weiter. Die Projekte nehmen hierbei die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele in den Blick. Etwa 40 Schüler:innen sind in den Projekten laut Katja Peper aktiv, z.B. als Klima-Peers. Der Verein arbeitet eng mit der örtlichen Freiwilligenagentur, dem Freiwilligen Service zusammen, z.B. in der Vermittlung junger Menschen – hier werden Synergien geschaffen, die sowohl dem Verein als auch der Agentur nutzen.
Die Präsentation von Katja Peper zum Verein „Peer Leader International“ ist hier als Download verfügbar.
Junge Menschen kommen zusammen, lernen sich kennen und engagieren sich gemeinsam in verschiedenen Einsatzstellen: So lässt sich das Konzept des PULS Camp in Bremen knapp zusammenfassen. Beim Arbeitsforum gab Konrad Kreutzer aus der Freiwilligenagentur Bremen Einblick in die PULS Camps. Die Idee für das PULS Camp kam in Zeiten der Corona-Pandemie auf, als ein langfristiges Engagement nur schwer möglich war.
Doch was passiert genau bei dem PULS Camp? In den Oster-, Sommer- und Herbstferien kommen je rund 25 junge Menschen mit und ohne Fluchthintergrund für 5 Tage zusammen, wie Konrad Kreutzer schildert. Die Engagierten sind in dieser Zeit in verschiedenen Projekten aktiv, welche sie sich selbst aussuchen können: Beispielsweise die Unterstützung von obdach- und wohnungslosen Menschen in der Stadt oder in einem Gartenprojekt. Hinzu kommen laut Kreutzer Workshops im Camp selbst und verschiedene Gemeinschaftsaktivitäten. In den fünf Tagen können die jungen Menschen erste Erfahrungen im Engagement sammeln und sich gegenseitig kennenlernen. Gerade für junge Geflüchtete sei dies eine gute Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen, wie Kreutzer berichtet. In verschiedenen Anschluss-Angeboten bleiben die Teilnehmenden in Kontakt und engagieren sich oft weiterhin.
Innerhalb der Freiwilligenagentur Charlottenburg-Wilmersdorf richtet sich das Projekt “Junges Engagement“ dezidiert an junge Menschen. Yara Hübscher und Clara Lehmann leiten als Koordinatorinnen das Projekt und berichteten aus der Praxis. Hier stehen nicht einzelne Projekte im Vordergrund: Vielmehr sind alle Tätigkeiten auf die junge Zielgruppe (bis ca. 30 Jahre) ausgerichtet. Die Arbeit teilt sich hierbei in zwei Säulen: Zum einen Information, Vermittlung und Begleitung. Hier werden analoge und digitale Beratung angeboten, aber auch Infoveranstaltungen an Schulen organisiert. Aktionen und kurzfristige Engagementformate bilden den zweiten Arbeitsbereich. Hier werden etwa Clean-Ups, ein Engagement-Camp in den Sommerferien (die EhrenamtXperience) aber auch Projekte der jungen Engagierten selbst umgesetzt. Wichtig für diese Arbeit ist laut den Kolleginnen eine zielgruppengerechte Öffentlichkeitsarbeit, aber auch eine enge Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendclubs.
Anders als bei klassischen Freiwilligenagenturen, werden die jungen Menschen auch nach der Vermittlung noch eng begleitet und Erfahrungen gemeinsam reflektiert – so lernen die Jugendlichen Engagement kennen und es wird ein Communitygefühl im Bezirk geschaffen. Durch die enge Zusammenarbeit mit der bezirklichen Freiwilligenagentur ist ein enger Draht in die Verwaltung und die engagierte Zivilgesellschaft des Bezirks gegeben und Ressourcen und Netzwerke werden geteilt.
Im Anschluss teilten die Teilnehmenden ihre Eindrücke des Gesprächs in Kleingruppen und hielten Gedanken auf einem Padlet fest. Hier einige Beispiele von den Kolleg:innen:
Was sind Gelingensbedingungen, die ihr aus den Inputs mitgenommen habt?
- “Gute Vernetzung, langjährige Kooperationspartner, passende Strukturen”
- “Freiräume schaffen ohne Bewertung und Druck, dafür mit Möglichkeit für Reflexion und Selbstwirksamkeit”
- “Aufsuchende Arbeit in der Lebenswelt”
Welche Herausforderungen begegnen euch im Kontext von Engagementförderung von Jugendlichen?
- “Einrichtungen sind bei jungen Menschen (u16) oft abgeschreckt bzw können sich ad hoc keine Formate für junge Leute vorstellen”
- “Wunsch nach kurzfristigem Engagement seitens der jungen Menschen ist schwer mit den Strukturen von Vereinen in Einklang zu bringen”
- “wenig Zeit der jungen Menschen”
Was sind eure Erfahrungen mit Jugendengagement allgemein?
- “Unerwartet viel Energie und Passion”
- “In Projekten denken (da junge Menschen wenig Zeit für Engagement haben)”
- “Guter Türöffner: Praxis-Seminare (etwa in Oberstufen)”
- “Engagierte Jugendliche genießen den Austausch mit anderen engagierten Jugendlichen”
Es gibt viele Wege Gesellschaft mitzugestalten: Dennis Hoenig-Ohnsorg zu Potentialentfaltung im Jugendengagement
Zum Start seines Inputs zeichnete Dennis Hoenig Ohnsorg von der Changemaker Academy der Zukunftswerft eher ein ernüchterndes Bild: Die Spaltung unserer Gesellschaft nimmt zu und nicht ab, es gibt globale Krisen und Engagement ist eher exklusiv – denn die Engagementquote ist abhängig von Bildungsgrad, Einkommen und sozialer Herkunft der Menschen. Für die Lösung gesellschaftlicher Probleme gebe es nicht die eine Lösung, vielmehr müsse ihnen dezentral und gemeinsam begegnet werden: Auf unsere jeweils beste Weise und an ganz vielen Orten und auf Augenhöhe, so Hoenig-Ohnsorg.
Engagement und Ehrenamt seien stark besetzte Begriffe, die Changemaker Academy hält dem eine klare Haltung entgegen: Engagement bedeute mehr als Ehrenamt, sondern stehe für alle Wege und Weisen, in denen Menschen für ihre Werte und Ideale einstehen und sich aktiv einbringen. Außerdem sei freiwilliges Engagement kein “Notpflaster”, sondern müsse als gestaltende Kraft anerkannt werden. Schlussendlich gehe es auch darum, Menschen Lust zu machen, das System mitzugestalten. Hierfür müsse das Vertrauen auf die eigene Selbstwirksamkeit gefördert werden, anstatt unbesetzte Stellen in einem System zu füllen, wie er ausführte.
Aus dieser Haltung leitet die Changemaker Academy einen Fragenkatalog ab: Dieser ziele darauf ab, einen leichteren Zugang zum Engagement zu ermöglichen, in denen Wünsche, Bedürfnisse und Ideen der (jungen) Freiwilligen im Fokus stehen. Es gebe viele Wege, die Gesellschaft zu gestalten und die Wirkungsweisen in einer Demokratie seien vielfältig, wie Hoenig-Ohnsorg betont.
Daher entwickelte die Academy Workshop-Formate, in denen Ressourcen, Leidenschaften, Themen der (überwiegend) jungen Menschen im Vordergrund stehen und ihnen diverse Wirkungswege und nächste Schritte aufzeigen. Hoenig-Ohnsorg berichtet aus der Praxis, dass er oftmals überrascht sei, wie viel Engagement bei den jungen Menschen bereits da sei – auch wenn es nicht immer den gängigen Vorstellungen von Ehrenamt und freiwilligen Tätigkeiten entspräche.
Das “Changemaker-Playbook” bietet hierfür verschiedene Frage- und Hilfestellungen sowie Praxistipps zur Engagementförderung für junge Menschen. Etwa eine “Übung für Deine Stärken”, in denen Jugendliche Familie und Freund:innen nach Stärken befragen und die Rückmeldungen mit ihren eigenen Ansichten abgleichen – mit überraschenden und bestärkenden Ergebnissen.
Zum Abschluss zeigte Dennis Hoenig-Ohnsorg mögliche Schnittstellen zu den Freiwilligenagenturen. Das bereits genannte Playbook, könne für die lokalen Gegebenheiten angepasst werden, auch Workshops vor Ort und ein Train-the-Trainer-Ansatz seien möglich. Abschließend wies er auf das Demokratie-Navi hin, das mit wenigen Fragen verschiedene Wirkungsweisen und Engagementmöglichkeiten aufzeigt. Auch dieses Navi lasse sich in die Arbeit vor Ort übertragen und anpassen.
Die Präsentation von Dennis Hoenig-Ohnsorg ist hier als Download verfügbar.
Weiterführende Links aus dem Input:
- Demokratie-Navi | Mehr Infos
- Online-Kurs “Finde Dein Demokratie-Engagement” | Mehr Infos
Gruppenarbeit zum Rollenverständnis von Freiwilligenagenturen
Nachdem Praxisbeispiele beleuchtet und das junge Engagement in einer vielfältigen Weise betrachtet wurden, diskutierten die Teilnehmenden in Kleingruppen über das Rollenverständnis von Freiwilligenagenturen im Bereich Jugendengagement. Dabei wurden verschiedene Perspektiven in den Blick genommen: Wie können wir Jugendliche für Engagement aktivieren, wie für gesellschaftliche Teilhabe begeistern, sie für zivilgesellschaftliche Strukturen als Nachwuchs gewinnen und sie dabei unterstützen, ihre eigenen Ideen umzusetzen? Besonders die Zusammenarbeit mit Schulen und eine gezielte Ansprache von jungen Menschen, etwa mit digitalen Engagementangeboten oder Videoformaten, zählten zu den Ideen der Teilnehmenden. Ebenfalls wichtig: Eine proaktive Ansprache von Kooperationspartner:innen und Einrichtungen. Wie in verschiedenen Engagementfeldern, können auch hier Freiwilligenagenturen als Impulsgeber:innen und Wissensvermittler:innen fungieren.
Zum Abschluss des interessanten Arbeitsforums wurden die Kolleg:innen nach ihrem Rollenverständnis im Bereich Jugendengagement befragt. Es zeigt sich hier eine breite Perspektive auf junge Menschen, ihr Engagement und ihre Wirkung auf die Gesellschaft. Etablierte Strukturen zu verjüngen und Jugendliche in ihrem Engagementweg zu fördern gehen dabei Hand in Hand.