14.10.2021

Allgemeine Entwicklungslinien, konkrete Baustellen: 55 Minuten mit… Dr. Thomas Röbke

Der bagfa Digital-Talk über Fortschritte und Gefährdungen des Engagements und Perspektiven seiner Förderung

Dass Engagement nicht als Sahnehäubchen auf dem Kaffee zu sehen ist, sondern eher als Humus der Gesellschaft, auf dem vieles gedeihen kann – dieses Bild hat er auch in seinem gerade erschienenen Buch aufgegriffen. Das Besondere an Dr. Thomas Röbke ist: Bei ihm bleiben solche Aussagen keine bloße Behauptung. Versiert in Theorie als auch Praxis des Engagements, sei es in seiner Rolle als Autor oder als Geschäftsführer des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement Bayern e.V. in Nürnberg, kann er alles bestens belegen – und im Übrigen auch wunderbar erzählen. Gründe genug, ihn nach den großen Entwicklungslinien des bürgerschaftlichen Engagements zu fragen – und nach dem, was er als fiktiver Bundeskanzler als Sofortmaßnahme in Sachen Engagementförderung einführen würde.

Foto: Jennerich BAFzA
Als eine Entwicklungslinie des Engagements beschreibt er in seinem Buch die Vergrößerung der Engagementmöglichkeiten – was ist neu entstanden?

Aus eigener Anschauung kennt Thomas Röbke ein selbstverwaltetes Jugendzentrum: Mit diesem Ort hätten sich viele neue Einsatzfelder aufgetan. Ein anderes Beispiel sei der Boom der Selbsthilfebewegung ab den 70-er Jahren. Oft vergessen werde die wachsende Zahl der Organisationen, die politisches Engagement ermöglichen. Und auch in den letzten Jahren geben es eine „Explosion“ der Möglichkeiten – fast schon bis zu einer Unübersichtlichkeit.

Wie sieht es mit der qualitativen Veränderung aus? (Er spricht von einer „kopernikanischen Wende“: Nicht die Freiwilligen müssen zu den Jobs passen, sondern umgekehrt.)

Für Thomas Röbke ist das eine Entwicklung, die mit dem gesellschaftlichen Prozess der Individualisierung einhergeht: Die/ der Einzelne steht mehr im Mittelpunkt – und das, was zu ihm/ ihr passt. Das Engagement biete viele Möglichkeiten der entsprechenden Selbstverwirklichung wie Selbstwirksamkeit. Dazu habe sich in der Engagementförderung ein neues Verständnis von Professionalität entwickelt. Aber natürlich gibt es auch weiterhin die Engagements, die stärker „vorgegeben“ sind und klaren Regeln folgen.

Wie hat sich die Anerkennung von Engagement durch die Politik entwickelt?

Thomas Röbke findet, die Aufmerksamkeit aus der Politik sei gewachsen, es gebe ein ernsthaftes Verständnis für die Relevanz, auch was die Bedeutung von Engagement für demokratische Stabilität anbelangt. Gleichzeitig hätten manche Akteure eine etwas zu „idyllische“ Vorstellung von Engagement, zumal wenn sie sich nur an persönliche Erfahrungen aus der Vergangenheit erinnerten. Trotz aller Fortschritte: Hier müssten wir noch lauter werden, als Lobbyisten für das Engagement, sowohl aus den Ländern heraus als auch auf Bundesebene.

Eine Teilnehmerin beklagt, in öffentlichen Aufträgen werde das Engagement schon „eingepreist“, ohne dass man sich um die nötige Begleitung kümmere. Mehr Aufgaben bei geringer Struktur – wie soll das gehen?

Es gelte immer die Eigenlogiken des Engagements zu pflegen und gegen Marktlogiken verteidigen. Die Ökonomie des Schenkens sei nicht direkt verrechenbar und als eigene Form des Reichtums einer Gesellschaft zu werten. Vieles könne aus dem „Humus der Gesellschaft“ erwachsen, wenn man es lässt. Vermengt man ihn mit finanziellen Anreizen, könne das Schäden anrichten. Vorsicht weiterhin vor jeder Monetarisierung!  Außerdem dürften Freiwillige nie verlängerter Arm von Hauptamtlichen sein. Wenn Menschen das spüren, schrecke sie das ab.

Angenommen, er wäre der nächste Bundeskanzler, was wäre seine zentrale Maßnahme zur Engagamentförderung?
  • Weniger eine Maßnahme, sondern ein ganzes Paket nähme er sich vor: Den Förderaspekt der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt untermauern und ausbauen,
  • Demokratie und ihre Akteure stärken durch nachhaltige Infrastrukturförderung,
  • dafür das Kooperationsverbot aufheben, wobei man, Stichwort Demokratiefördergesetz, nicht nur auf Radikalismusprävention, sondern auch auf Gestaltung von Diversität bauen sollte.

Aktuell gehe sehr viel Geld in Bildung, Stichwort Programme zum Aufholen nach Corona, aber dies müsse als Daueraufgabe langsfristig verankert und verstetigt werden – wie man überhaupt Bildung und Engagement mehr zusammen denken sollte. Ach ja, und auch die Koordination der verschiedenen beteiligten Bundesministerien wäre insgesamt wünschenswert.

Und wie immer die Schlussfrage an unsere Gäste: Was sind Ihre drei Wünsche an Freiwilligenagenturen?
  • Erstens sollten sie noch stärker Kreativitätszentren des Bürgerschaftlichen Engagements werden.
  • Zweitens mögen sie doch noch intensiver die Verbindung von klassischem und neuem Engagement in den Blick nehmen.
  • Und drittens wünscht sich für Freiwilligenagenturen eine gedeihliche und nachhaltige Zukunft.

Mehr zum Buch “Der Humus der Gesellschaft” von Dr. Thomas Röbke finden Sie hier.